Länder entscheiden Bosnier-Abschiebung

In einigen Bundesländern besteht noch Unklarheit, wann die ersten Kriegsflüchtlinge abgeschoben werden sollen. Heftige Kritik von Menschenrechtsgruppe und Bündnisgrünen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Der Beschluß der Landesinnenminister, demzufolge bosnische Flüchtlinge in Deutschland schon von Oktober an zwangsweise in ihre Heimat abgeschoben werden können, war von Gegnern wie Befürwortern seit Tagen erwartet und mit allen möglichen Konsequenzen ausführlich diskutiert worden. Etliche der zuständigen Ministerien selbst scheinen hingegen von der Entscheidung völlig überraschend getroffen worden zu sein.

„Wir werden das behutsam machen“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Sachsen-Anhalt auf die Frage, wie der Beschluß denn nun konkret in seinem Bundesland umgesetzt werden solle. Näheres wisse er noch nicht: „Ich will da ja auch nichts Falsches sagen.“

„Die Frage, wie man das im Detail machen wird, ist noch offen. Da ist noch viel zu klären“, meinte auch der Sprecher des bayerischen Innenministeriums. Er gehe allerdings davon aus, „daß noch in diesem Jahr die ersten Flüchtlinge zurückgeschickt werden, notfalls auch mit Zwang.“

Niedersachsen will zunächst einmal die Situation in den einzelnen Landkreisen durch Gesprächsrunden klären, an denen auch Ausländerbehörden und Sozialämter beteiligt sein sollen. Grundsätzlich werde nicht mit Abschiebungen vor dem Frühjahr gerechnet – in Einzelfällen aber vielleicht doch schon in diesem Jahr. „Wir wollen Abschiebung vermeiden, werden sie aber nicht grundsätzlich ausschließen“, erklärte gestern auch der Sprecher des Bremer Innensenators.

Genauer festlegen wollten sich gestern nur wenige Bundesländer, wie sie denn nun im einzelnen ihren Ermessensspielraum nutzen wollen. Zu diesen gehören Brandenburg, das nicht vor März, und Nordrhein-Westfalen, das nicht vor April mit der Abschiebung beginnen will. Schleswig- Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) nannte es sogar „hellen Wahnsinn“, die Flüchtlinge im Winter in das zerstörte Land zu schicken.

Berlin kündigte dagegen „notfalls“ Zwangsmaßnahmen noch für dieses Jahr an. Auch Hamburgs Innensenator Hartmut Wrocklage (SPD) geht davon aus, daß es zu ersten Abschiebungen bereits im Oktober kommt. In Baden-Württemberg wollen die Ausländerbehörden schon in den nächsten Tagen Flüchtlinge aus der Region Bihać zur Ausreise auffordern. Innenminister Thomas Schäuble wies darauf hin, daß mit dem Beschluß der Innenministerkonferenz Flüchtlinge ab sofort nur noch einen um 20 Prozent verringerten Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Für einen Mittelweg scheint sich Hessen zu entscheiden: Dort sollen die Verfahren zur Rückführung „in Kürze“ eingeleitet werden, die Flüchtlinge jedoch lediglich zur Ausreise „in der ersten Jahreshälfte 1997“ aufgefordert werden.

Auf scharfen Protest ist der Beschluß der Innenminister bei der Gesellschaft für bedrohte Völker gestoßen. Ihr Vorsitzender Tilman Zülch nannte die Entscheidung „völlig unmenschlich“ und warnte davor, daß die Entscheidung zu „verheerenden Angstreaktionen unter den Flüchtlingen“ führen werde.

Herbe Kritik kam auch von den Grünen in Bonn. Fraktionssprecherin Kerstin Müller warf den Innenministern vor, sich „für Stimmungsmache gegen Flüchtlinge entschieden zu haben, statt auf Humanität zu setzen“. Da im Moment der zufällige Aufenthaltsort innerhalb Deutschlands über das Schicksal der einzelnen Flüchtlinge entscheide, sei mit Wanderbewegungen der Kriegsvertriebenen innerhalb der Bundesrepublik zu rechnen. Müller sprach sich für „behutsame Rückführungsprogramme auf freiwilliger Basis“ aus.

Demgegenüber erklärte der innenpolitische Sprecher der CSU- Landesgruppe in Bonn Wolfgang Zeitlmann, der „Ermessensspielraum der Länder“ dürfe „keinesfalls als Einladung zu einem Verzögerungswettlauf interpretiert werden“. Vielmehr müßten die Länder jetzt unverzüglich mit den Einzelfallprüfungen beginnen. Mit der gestaffelten Rückkehr der Bosnien-Flüchtlinge müsse ab dem 1. Oktober „in sichtbarer und deutlicher Form“ begonnen werden.

Von der SPD war gestern zum Thema nichts zu hören.