Wahnsinn: Ein Herz für Rinder

■ Großbritanniens Regierung setzt Schlachtprogramm für 150.000 BSE-verdächtige Rinder aus. Begründung: Rinderwahn erledigt sich bis 2001 von selbst. Unverständnis, Kritik und Drohungen der europäischen Nachbarn

Berlin (taz) – Viele Rinderleben sind der britischen Regierung wichtiger als wenige Menschenleben. Auf einer Kabinettssitzung beschloß sie am späten Donnerstag abend, das mit der EU vereinbarte Schlachtprogramm für BSE-verdächtige Rinder auszusetzen. 147.000 Rindern bleibt der Fleischerhaken damit vorläufig erspart. Seit März gibt es den begründeten Verdacht, daß BSE-verseuchtes Fleisch beim Menschen das tödliche Creutzfeldt- Jakob-Syndrom auslöst. Zwölf Fälle wurden in Großbritannien registriert.

Die Reaktionen aus ganz Europa waren gestern empört. Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) nannte die britische Entscheidung „nicht akzeptabel“, der französische Landwirtschaftsminister Philippe Vasseur kündigte schärfere Grenzkontrollen gegenüber Großbritannien an, und EU-Agrarkommissar Franz Fischler mahnte die Major-Regierung, zu dem beim Europagipfel in Florenz gefundenen Kompromiß bei den Schlachtprogrammen zurückzukehren. Alles andere „liefe der Aufhebung des Embargos“ für britisches Rindfleisch entgegen.

Der Unionsabgeordnete im Europaparlament und Rinderzüchter Honor Funk drohte in der taz, man werde die britische Strategie nicht hinnnehmen. Ab dem 1. Januar 1997 müsse Fleisch europaweit nach seiner Herkunft gekennzeichnet sein: „Das wird sich vor allem gegen britisches Rindfleisch richten.“ Die Landwirtschaftsminister von Bund und Ländern nannten den britischen Beschluß bei ihrer Halbjahrestagung in Magdeburg „unverantwortlich“.

Begründet haben die Briten die Entscheidung mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ende August hatten Wissenschaftler der Universität Oxford prognostiziert, daß der Rinderwahn BSE bis zum Jahr 2001 weitgehend aussterben werde. Zu den bisher infizierten rund 900.000 Tieren würden nur noch wenige tausend hinzukommen. Um die Zahl der neuinfizierten Tiere bis 2001 noch einmal drastisch zu reduzieren, müßten rund eine Million britische Rinder bis zum Jahresende notgeschlachtet werden. Das war der britischen Regierung zuviel. Major forderte gestern „ein Ende der Hysterie“. Prinz Charles nannte den Rinderwahn hingegen eine „Warnung der Natur“.

Bei den europäischen Nachbarn stieß die Entscheidung Majors auch deswegen auf Unverständnis, weil die Schweiz, das Land mit den zweitmeisten BSE-Fällen, zu Wochenbeginn die entgegengesetzte Strategie angekündigt hatte. Die Schweizer wollen nach 223 Fällen von Rinderwahn bis zu 230.000 Rindviecher keulen lassen. In Großbritannien waren in den vergangenen Jahren insgesamt 163.000 Fälle von BSE registriert worden. Die Wissenschaftler aus Oxford gehen davon aus, daß das Fleisch von rund 700.000 BSE-kranken Rindern in den menschlichen Verzehr gelangt ist. ten

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