Atomstreit zwischen HEW und Rotgrün Kiel

■ Klage gegen Energieministerium / Grüne fordern den sofortigen Ausstieg

Die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) lassen die Muskeln spielen: Mit einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig will der Hamburger Stromversorger das Kieler Energieministerium zwingen, für den Atommeiler in Brunsbüttel umgehend eine Wiederanfahrgenehmigung zu erteilen. Das Kraftwerk war am 27. Juli zur obligatorischen Jahresrevision vom Netz genommen worden. Nach Auffassung der HEW hätte es bereits vor über einer Woche den Betrieb wieder aufnehmen können.

Mit der Klage wollen die HEW sich die rechtliche Möglichkeit offenhalten, in einem späteren Zivilprozeß Regreßansprüche in Millionenhöhe geltend zu machen. Denn Mitte Juni 1995 scheiterte eine vergleichbare HEW-Schadensersatzklage über 1,5 Millionen Mark auch daran, daß der Stromkonzern zu spät Rechtsmittel eingelegt hatte. Nun droht der Stromversorger damit, für jeden Tag, den der Reaktor nicht in Betrieb gehen kann, eine halbe Million Mark Einnahmeverluste von Kiel zurückzufordern.

Das Kieler Energieministerium jedoch reagiert auf die energiegeladenen Drohgebärden gelassen. Schlicht „unsinnig“, polterte Energieminister Claus Möller (SPD), sei die Klageabsicht der HEW. „Die Prüfung der normalen Revisionsarbeiten ist noch nicht abgeschlossen“. Denn vor einer Zustimmung müßten die Gutachter gehört, die entsprechende Expertise des TÜV Norddeutschland liege aber erst seit Mittwoch im Ministerium vor. Möller warnte die HEW „vor dem Irrglauben, mit unbegründeten Schadensersatzklagen ließe sich Druck auf die Reaktorsicherheitsbehörde ausüben“.

Möllers grüner Staatssekretär Wilfried Voigt erklärte am Sonnabend auf der Sitzung des grünen Landeshauptausschusses („Kleiner Parteitag“), daß das Ministerium sich „der HEW-Klage selbstverständlich nicht beugen wird.“ Sehr zur Freude der Delegierten, die auf der Sitzung ihren Willen zum sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie bekräftigten.

In einer Resolution heißt es, von allen Mitgliedern werde erwartet, daß sie sich „gerade jetzt für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen einsetzen“. Begründet wird der Beschluß unter anderem mit den Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch und den Castor-Transporten nach Gorleben. Im einzelnen unterscheidet die Resolution allerdings Möglichkeiten für unterschiedliche Aktivitäten der Grünen-Mitglieder. So werden die Regierungsmitglieder aufgefordert, „nach Recht und Gesetz alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um sofort aus dem Atomprogramm auszusteigen“. Die Landesarbeitsgemeinschaft Energie soll „die fachlichen Grundlagen“ für den Ausstieg und Alternativen für eine Wende in der Energiepolitik erarbeiten.

Vor dem AKW Krümmel bei Geesthacht protestierten gestern mehr als 50 Mitglieder niedersächsischer Initiativen gegen den Reaktor, der von Atomkraft-Kritikern für die Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch verantwortlich gemacht wird. Die Aktion verlief friedlich. Marco Carini