Chefdramaturg im Interview
: Ost-Maulwürfe im West-Stadttheater

■ Joachim Lux: Über die Provinz und das Risiko, einen Flop zu produzieren

Joachim Lux kommt nach Stationen in Tübingen und Köln vom Düsseldorfer Schauspielhaus. In Bremen ist er seit Beginn dieser Spielzeit Chefdramaturg des Drei-Sparten-Hauses am Goetheplatz. Mit diesem Gespräch startet die taz ein Reihe über neue Mitglieder des Bremer Theaters.

Ende der letzten Saison herrschte noch große Finanzkrise, jetzt wird ein Chefdramaturg eingestellt - eine Position, die es früher gar nicht gab. Was macht denn so ein Chefdramaturg?

Joachim Lux: Das ist jemand, der die künstlerische Leitlinie sehr stark mitbefördert. Dazu gehört die Prägung des Spielplans, der Inhalte und Ästhetiken eines Theaters: „Was mit wem?“, also: Welches Stück wird in der nächsten Spielzeit von welchem Regisseur inszeniert? Das ist es ja, was das künstlerische Profil eines Theaters ausmacht.

Können Sie das Bremer Theater mit dem Düsseldorfer Haus vergleichen?

Ähnlich ist in etwa die Höhe der Subventionen und Mitarbeiter. Aber da es sich um ein reines Schauspieltheater handelt, resultiert daraus eine ganz andere ökonomische und logistische Leistungsfähigkeit des Theaters. Auch die Gagen, mit denen man auch namhafte Schauspieler engagieren kann, sind höher. Die Einkommensverhältnisse der Bremer Schauspieler sind erbärmlich und jenseits der Schmerzgrenze.

Was hat Sie unter diesen Umständen an Bremen gereizt?

Das Bremer Theater ist ein Drei-Sparten-Theater, für das ich mich deshalb interessiere, weil ich mich mit dem Enthusiasmus des Halbkenners für Oper und Tanz begeistere. Aber es ist noch etwas anderes. Ich komme künstlerisch und ökonomisch aus dem Paradies. In den letzten Jahren habe ich fast nur mit den großen, durchgesetzten Regisseuren gearbeitet. Für mich stellte sich einfach die Frage: Geht es so weiter oder gehe ich dahin, wo es was Neues zu entdecken gibt?

Und was gibt es hier in der Provinz zu entdecken?

In der Provinz ist es viel eher als in den Metropolen möglich, neue Dinge zu entwickeln. So war es zum Beispiel möglich, Karin Beier erstmals zur Inszenierung einer Oper („Carmen“ - d.Red.) zu verführen. Das ist mir nur deshalb gelungen, weil wir uns schon lange kennen und gewissermaßen gemeinsam künstlerisch groß geworden sind.

Karin Beier, Konstanze Lauterbach: Warum kommen all diese interessanten Regietalente aus dem Osten?

Eigentlich liegt das auf der Hand. Abgesehen von den Experimenten aus der Off-Szene gibt es im westeuropäisch-angelsächsischen Raum im Grunde nur psychologisch-literarisches Theater. Im Osten entstand aus den unterschiedlichsten Richtungen ein spielerisches Theater. Der Text als Partitur für sinnlich theoretische Unternehmungen.

Sinnlichkeit? Dort war es doch grau in grau.

Schon, aber es teilt sich bis hin zu Frank Castorff über viele Verästelungen das Gedankengut von Brecht mit - und nicht die Psychologie von bürgerlichen Seelenschmerzen. Aber es gibt auch andere Traditionen, zum Beispiel Andrej Worons von Tadeuz Kantor beeinflußtes Theater, dessen Quellen letzt endlich auf mittelalterlich, katholische Totentänze zurückgehen. Ich habe den Eindruck, daß im östlichen Theater die Aufführung häufig einem Gesamtkunstwerk ähnelt, in dem die Sprache nur ein Element ist - neben dem Körper, der Musik und der Choreographie. Konstanze Lauterbach, die gerade mit „Doña Rosita“ Premiere hatte, arbeitet so.

Besonderen Spaß macht mir auch die „Macbu“-Inszenierung von Stefan Moskov, gerade weil sie eine Mischung verschiedener Theaterformen ist und ein großes Risiko darstellt. Weiter geht es mit Stoffen wie „Clockwork Orange“. Das könnte ein jüngeres Publikum interessieren und bestehende Hemmschwellen abbauen.

Sie sind dafür bekannt, daß Sie den Kontakt zur Off-Szene pflegen.

Ja, man muß die Off-Szenen ins Theater holen. Es ist doch so, daß das Staatstheater ein erstarrter Apparat ist, den man nutzen muß, um ihn zu sprengen. Regisseure wie Christoph Marthaler, auch Peter Brook, die Lauterbach oder Dimiter Gottscheff sind Maulwürfe im Stadttheatersystem.

Eine Episode aus Budapest erläutert das vielleicht. Ein junger pickliger Regisseur lud mich ein: Das Stück sollte um 23.30 Uhr beginnen und bis drei Uhr dauern. Hier spielten keine abgehalfterten Nachteulen, sondern die frustrierten Stars des ungarischen Films und des Staatstheaters. Und in dieser Off-Produktion spielten sie sich den Frust vom Leib. Es war absolut faszinierend, bis nachts um drei, und das Theater war jeden Abend ausverkauft. In solchen seltenen Momenten teilt sich mit, warum man Theater macht.

Fragen: Susanne Raubold