Das Portrait
: Estlands alter und neuer Präsident

■ Lennart Meri

Obwohl er genug Zeit hatte, seine Trinkgewohnheiten zu ändern, verschmäht Lennart Meri weiterhin Champagner: „Wer wie ich in Sibirien war, trinkt Wodka.“ Am vergangenen Freitag wurde der 67jährige Historiker und Literat im vierten Wahlgang erneut zum Staatpräsidenten Estlands gewählt.

Geboren in Tallin wurden er und seine Familie 1941 als „Volksfeinde“ nach Sibirien deportiert. Die Tatsache, daß die Familie nach dem Krieg nach Tallin zurückkehren konnte, wurde von vielen Kritikern Meris als Beweiß für Verstrickungen mit dem KGB angesehen – Vorwürfe, die ihn bis heute verfolgen. So zirkulieren Dokumente, die offenbar nachweisen, daß die Rückkehr nur möglich war, weil sich Meris Vater bereit erklärt hatte, für den KGB zu arbeiten. Und Meri selbst wird nachgesagt, daß er seine Karriere als Historiker zu Sowjetzeiten nur um den Preis einer KBG-Mitarbeit habe starten können.

Nach der Unabhängigkeit Estlands, im Jahre 1991, wurde Meri Außenminister, ein Jahr später Präsident. Gerüchten um seine KGB-Vergangenheit begegnete er mit einem Verweis auf seinen Amtseid, in welchem er geschworen habe, niemals für einen fremden Geheimdienst gearbeitet zu haben. Eine Aussage, die ihm mittlerweile Anzeigen wegen Meineids eingebracht hat. Bei seinem Amtsantritt 1992 hatte er noch angekündigt, eine internationale Expertenkommission zu beauftragen, sich mit den Anklagen gegen ihn zu befassen – ein Versprechen, das er nie wahrmachte.

Meri, der im Ausland mit Würde die Sache seines jungen Staates vertritt, wirkt im persönlichen Kontakt eher wie ein temperamentvoller Chaot. Er hält sich an keinen Termin, ist oft für seine Mitarbeiter unauffindbar und soll seine Position auch schon mal zu seinem persönlichen Vorteil mißbraucht haben. Doch ungeachtet aller Vorwürfe genießt er bei der Bevölkerung hohes Ansehen.

Daß Meri, ein scharfer Kritiker Rußlands und Befürworter eines Nato- und EU-Beitritts seines Landes, sich nicht darauf beschränken will, Schulen und Straßen einzuweihen, steht schon lange fest: Während seiner ersten Amtsperiode lag er mehrfach im Clinch mit der Regierung und überschritt seine verfassungsmäßigen Befugnisse. Damit werden sich Parteien, Parlament und Regierung wohl auch in Zukunft abfinden müssen. Reinhard Wolff