Ochsentour für grüne Kandidatin

Am Gezaudere des Ostländerrats von Bündnis 90/Die Grünen wäre beinahe die einzige Ost-Kandidatin für das Amt der Bundesvorstandssprecherin, die Reala Gunda Röstel, gescheitert  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Mühsam war in den ostdeutschen Landesverbänden von Bündnis 90/Die Grünen nach einer Nachfolgerin für Krista Sager gesucht worden. Schließlich war sich Werner Schultz sicher, „eine Topfrau“ gefunden zu haben, eine, die als Vorstandssprecherin mehr wert ist, „als hundert Seiten Aufbau- Ost-Papiere“. Anfang letzter Woche wurde der Name der Kandidatin bekannt. Gunda Röstel aus Chemnitz. Am Ende der Woche wäre ihre Kandidatur fast schon beendet gewesen.

Röstel hatte ihr Vorhaben von der Unterstützung durch den Ostländerrat abhängig gemacht. Der kam am Samstag in Berlin zusammen und wollte zunächst gar kein Votum abgeben. Eine Mehrheit der 19 Räte beschloß, keinen Beschluß zu fällen und sich einer Stellungnahme zur Kandidatin zu enthalten. Erst solle, so die Begründung, den Landesverbänden Gelegenheit gegeben werden, die Kandidatin kennenzulernen. Hinter diesem basisdemokratischen Vorwand verbarg sich bei manchem allerdings auch ein Vorbehalt gegen die Person. Denn nicht jeder in der Runde teilte die Begeisterung von Schultz, dem parlamentarischen Geschäftsführers der Bundestagsfraktion. Die Berliner Abgeordnete Judith Demba etwa, auf dem linken Flügel beheimatet, attestierte Röstel „zu wenig Inhalte“, gerade bei aktuellen Themen.

Die Entscheidung, kein Votum zu fällen, rief heftige Reaktionen hervor. Für Schultz bedeutete sie ein fatales Signal und auch die Sprecherin der Bundestagsfraktion, Kerstin Müller, wies die Delegierten darauf hin, daß sich damit im Westen der Eindruck verstärke, der Osten wisse mal wieder nicht, was er wolle. Röstel erklärte, daß sie von der Kandidatur absehe und abreisen werde, sollte kein Votum zustande kommen. Nach zweistündiger Debatte entschied man sich dann zu einer Stellungnahme.

In der war allerdings von einer Unterstützung Röstels keine Rede mehr. Es hieß lediglich, der „Ostländerrat begrüßt die Kandidatur und bestärkt die Kandidatin in ihrem Vorhaben“. Mehrere Räte betonten gar, daß damit keine Wahlempfehlung gegeben sei. Selbst diese abgemilderte Entschließung erhielt nur elf Stimmen, zwei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen. Röstel war sich danach bewußt, „daß ich nicht alle Meinungen in meiner Person vereinigen kann“. Die Zeit bis zur Wahl will sie nutzen, sich in den Landesverbänden bekannt zu machen.

Vor dieser zweiten Abstimmung stellte sich die Kandidatin den Fragen der Länderräte. Eine Rolle spielte dabei ihr Eintreten für eine schwarz-grüne Option in Sachsen. Diese Diskussion hatte vor zwei Jahren für Schlagzeilen gesorgt, bei den darauffolgenden Landtagswahlen scheiterten die Grünen. Röstel, damals Sprecherin des Landesvorstands, trat zurück. Am Samstag erklärte sie, daß in Sachsen seinerzeit eine besondere Situation geherrscht habe. Auch bei einer anderen bündnispolitischen Frage vermied sie eine konkrete Festlegung. Im Umgang mit der PDS mahnte zu mehr Gelassenheit und verwies auf die Autonomie der einzelnen Landesverbände. Röstel, als Vertreterin des realpolitischen Parteiflügels an der Spitze gehandelt, geht gleichwohl davon aus, „daß ich mich mit allen Strömungen verstehen kann“. In der strömungspolitisch entscheidenden Frage des Bosnieneinsatzes will sie sich denn auch nicht darauf einlassen, ihrem linken Sprecherkollegen in spe, „Trittin, den Rang abzulaufen“. Sie gesteht „inhaltliche Schwächen“ ein, will jedoch ihre Position mit Mut vermitteln.

Die meisten Osträte waren nach ihrer Vorstellung beeindruckt, auch Demba attestierte ihr bei aller inhaltlichen Differenz Selbstbewußtsein. „Die Frau kann sich behaupten“, meinte der sachsen-anhaltinische Fraktionsvorsitzende Hans Tschiche, der es „ein Zeichen politischer Vernunft“ nannte, wenn der Osten sie nun einhellig stützte.

Marianne Birthler, seinerzeit mit ähnlichen Voraussetzungen als Bundesvorstandssprecherin angetreten, sieht für Röstel gar zwei Vorteile. Zum einen habe die Partei dazugelernt, wie man Leute wie Gunda Röstel integriere, wenn sie auf solch herausgehobenen Posten landeten, zum anderen habe Röstel nicht mehr mit dem „Wust von Klischees“ zu kämpfen, die „der Bürgerrechtlerin“, „der Ostlerin“ Birthler entgegengebracht wurden. Wenn man die Partei von Innen kenne, sei man zufrieden mit dem Ergebnis.

Diese Zufriedenheit teilt Schultz nicht. Er erinnerte seine Ostländerräte daran, daß ihre „Verpflichtung eine andere ist, als hier Polittheater aufzuführen“. Nicht die Kandidatin, sondern der Ostländerrat habe sich beschädigt, resümierte er verärgert und forderte, man müsse über dessen Zusammensetzung nachdenken. Es sei schlicht „ein komplizierendes Gremium“. Röstel, nach der Sitzung eher gelassen, weiß, „daß der entscheidendere Schritt“ die Wahl auf der Bundesdelegiertenversammlung im November sein wird. Sollte sie dort scheitern, weiß Tschiche Trost: „Dann geht die Welt auch nicht unter.“Kommentar Seite 10