■ "New Labour" - ein Konzept für die SPD? Auf ihrem Parteitag ließen sich die Berliner Sozialdemokraten zwar nicht zu einem Privatisierungskurs hinreißen. Aber sogar für aufrechte Genossen sind radikale Reformen inzwischen denkbar.
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„New Labour“ – ein Konzept für die SPD? Auf ihrem Parteitag ließen sich die Berliner Sozialdemokraten zwar nicht zu einem Privatisierungskurs hinreißen. Aber sogar für aufrechte Genossen sind radikale Reformen inzwischen denkbar.

Auch das Tafelsilber ist kein Tabu

Der Vorschlag war eine Frechheit. Tagelang hatten sich die Berliner Sozialdemokraten beharkt, um das Tabuwort von ihrem Parteitag fernzuhalten: Privatisierung. Die Widersacher: Hier die zugereiste Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, die sich beim Verkauf von Landeseigentum „keine Handfesseln“ anlegen lassen will. Da die Genossen von der Parteilinken, die das Tafelsilber der Stadt auf keinen Fall preisgeben wollen. Ihr Wortführer hatte in der Berliner SPD-Spitze angekündigt, er werde der Finanzsenatorin schon zeigen, wer der wahre Sozialdemokrat sei.

Und nun das. Die Sozialdemokratin Fugmann-Heesing (41) schlägt den Genossinnen und Genossen vor, „alle Berliner Liegenschaften und Mietobjekte einer privaten Verwaltungsgesellschaft zu übergeben“. 320 üblicherweise immerfort schwatzende SPDler hielten den Atem an. Ungläubiges Raunen ging durch die Kongreßhalle am Alexanderplatz. Sie habe, legte die Senatorin noch eins drauf, nach einem halben Jahr immer noch keinen „annähernden“ Überblick der Gebäude und Grundstücke im Berliner Besitz. Die linken Sozialdemokraten weigern sich, das Eigentum des Stadtstaates zu verkaufen. Und die Zugereiste beweist, daß die Stadt überhaupt nicht weiß, was sie an Immobilien besitzt. Das Tafelsilber, verschollen in der Rumpelkammer. Die Delegierten konnten sich nicht entscheiden. Sollten sie die Provokateurin hinauswerfen oder ihren Mut bewundern.

So geht es dem Stadtstaat seit sieben Monaten. Mit dem Antritt der Großen Koalition von CDU und SPD im Februar begann in Berlin eine verkehrte Welt. Die kleine SPD, die gerade noch ein Viertel der Stimmen errang, stahl dem größeren Koalitionspartner CDU von Anfang an die Schau. Die Wegmarken kamen zunächst von Klaus Böger, dem SPD-Fraktionschef. Der machte die Konsolidierung des überschuldeten und chronisch defizitären Landeshaushaltes zu dem Leitmotiv dieser Legislaturperiode. Und mit Annette Fugmann-Heesing holte er eine ebenso unnachgiebige wie sachkundige Frau dafür: die Sparkomissarin im Volksmund, in Wahrheit Juristin, Haushaltsexpertin, Verwaltungsmodernisiererin. Seitdem rennt die CDU den Themen hinterher, die Fugmann-Heesing setzt.

Vergeblich. In einer verkehrten Welt argumentiert es sich schwer. Der beinharte CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky etwa spielt seit einem halben Jahr die Berliner Sozialtante: Die kleinen Leute vertrügen den harten Sparkurs nicht mehr. Aber der Populismus Landowskys, im Nebenberuf Banker, verfängt nicht. Volkes Stimme in Berlin, die Boulevardtrompete B.Z., kommentierte nach dem Parteitag in verstümmeltem Deutsch für ihre 370.000 LeserInnen in Berlin: „Annette F.H. Die bleibt! Gut!“

Auch Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister und CDU-Vorsitzende, ist mit einem verunglückten Konter gegen die Finanzsenatorin abgeblitzt. „Antizyklische Wirtschaftspolitik“ solle Berlin betreiben, schlug Diepgen in einem Entwurf für die gerade verabschiedeten Leitlinien der Berliner Politik vor. Die antizyklische Wirtschaftspolitik – oder das Ankurbeln der Konjunktur durch erhöhte Staatsausgaben – stammt freilich aus der Werkzeugkiste der Sozialdemokratie der 60er und 70er Jahre. Das mußte sich Diepgen nun von Wirtschaftsbossen vorhalten lassen, außerdem die Tatsache, daß ein einzelnes Bundesland, schon gar kein bankrotter Stadtstaat, die Konjunktur beleben könne.

Seine Finanzsenatorin steht unterdessen fachlich ohne Makel da. Gerne hätten zum Beispiel die Delegierten des SPD-Parteitages ein bißchen an ihr herumgemäkelt. Aber schon mit ihrem Zustandsbericht zog die 41jährige Senatorin die GenossInnen auf ihre Seite. Der Schuldenberg Berlins, rechnete Fugmann-Heesing vor, habe sich zwischen 1992 und 1996 verdoppelt. Selbst wenn ihr harter Konsolidierungskurs gelinge, habe das Land 1999 65 Milliarden Mark Schulden. Das bedeutet, daß das Land dann den Gegenwert seines kompletten Kultur- und Wissenschaftsetats bei der Bank abliefere – über vier Milliarden Mark für Zinsen.

Aber jetzt hat Tony Blair angeklopft, um aufzuräumen. In Berlin genauso wie in der sozialdemokratischen Partei der Hauptstadt. Die Finanzsenatorin rief den Chef von Großbritanniens „New Labour“ zu Hilfe, den geistigen Anführer der neuen Sozialdemokratie. Theoretisch heiße das, so Fugmann-Heesing, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern.

Die SPD folgte ihrer neuen Anführerin nur verhalten. Anders als Blair, der das Verstaatlichungsdogma aus dem Programm der britischen Labour Party streichen konnte, gelang es Fugmann-Heesing nicht, freie Hand für Privatisierungen zu bekommen. Aber die Delegierten haben sie als Tabubrecherin angenommen. Sie erntete Beifall für die Art, wie sie New Labour im Berliner Alltag umzusetzen gedenkt: mit „radikalen Reformen“, zitierte sie emphatisch den Labour-Chef.

Und langsam gewinnt Fugmann-Heesing auch bei der CDU Leute, die an ihrer verkehrten Welt mitbasteln. Innensenator Jörg Schönbohm, ebenfalls ein Politimport, überraschte die CDU mit der Idee, man könne ja die Berliner Bezirksreform zusammen mit den Bündnisgrünen parlamentarisch durchsetzen.

„Wenn die CDU das schon vorschlägt“, nahm Fugmann-Heesing den Ball von Schönbohm gerne an. Das hieße, die durch die Gründung Großberlins in den 20er Jahren entstandene Untergliederung der Stadt in halbeigenständige „Gemeinden“ würde erstmals angetastet und verändert: in einer Koalition von tendenziell rechter CDU, sich erneuernder SPD und den ehemals ungeliebten bündnisgrünen Schmuddelkindern. Verkehrte Welt. Christian Füller, Berlin