Laßt Peter Graf frei!

■ Viel zu lange sitzt der Tennisvater in U-Haft

Im August war gegen Dieter Vogel, Vorstandsvorsitzender von Thyssen, und andere Manager des Unternehmens Haftbefehl ergangen. Der Vorwurf: Betrug in Höhe von 73 Millionen Mark. Die Befürchtung der Staatsanwaltschaft: Fluchtgefahr. Offensichtlich, so Dieter Vogel, habe diese Vorstellungen von seinem Job, die abseits jeder Realität seien. Das scheint der Richter gut verstanden zu haben. Der Haftbefehl wurde ausgesetzt.

Seit über einem Jahr sitzt Peter Graf, Vater der Tennisspielerin Steffi Graf, in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in Höhe von 19,6 Millionen Mark. Die Staatsanwaltschaft fürchtet Fluchtgefahr. In dieser Woche soll wieder einmal über eine Aussetzung des Haftbefehls entschieden werden. So lange wie Graf sitzen in Deutschland kaum je Leute in U-Haft, denen Tötungsdelikte zur Last gelegt werden, von Steuerhinterziehung ganz zu schweigen. Offenbar klingt seine Berufsbezeichnung „Gebrauchtwagenhändler“ nicht so vornehm wie „Vorstandsvorsitzender“.

Erinnert sich jemand an Peter Boenisch? Im Juni 1985 war der zu einer Geldstrafe von 1,08 Millionen Mark verurteilt worden, weil er über viele Jahre hinweg versucht hatte, Einkünfte aus einem Beratervertrag mit Daimler Benz zu verbergen. Nur wenige Wochen zuvor, als an einem Prozeß nicht mehr zu zweifeln war, trat er als Kohls Regierungssprecher zurück – eine Geste, die der Kanzler als Ausdruck einer „noblen Haltung“ würdigte.

Wird Peter Graf nur als Straftäter verfolgt, oder wird hier auch einer dafür bestraft, daß er von unten nach oben wollte und dabei den falschen Weg gewählt hat? Auftrumpfend statt demütig hat er sich gegeben; an der rechten Lebensart fehlte es ihm auch. Einflußreiche Freunde fürs Leben hatte er jedenfalls nicht.

Wenn so einer tief fällt, ist die Schadenfreude groß. Weite Teile der Berichterstattung über Graf triefen vor Häme. Die richtet sich nicht gegen seine Tat, sondern wieder und wieder gegen seine Biographie. Steuerhinterziehung ist verzeihlich – unverzeihlich ist hingegen, daß einer nicht in den Lebensumständen bleiben will, in die er hineingeboren wurde.

Es gibt einen Begriff, der aus der Mode gekommen ist. Zu Unrecht. Er heißt Klassenjustiz. Bettina Gaus