■ Nachschlag
: Pitbulls treffen Portishead: LoFi-Triphop-Poetry im Prater

Poesie hat wieder Konjunktur. Genauer gesagt: Poetry. Als sich im New Yorker „Nuyorican Poets Café“, in der Chicagoer „Green Mill Tavern“ und dem San Franciscoer „Wordland“ die ersten DichterInnen trafen, um in Open-Mike-Wettbewerben ihre Arbeit vom Publikum bejubeln oder zerfleischen zu lassen, traten sie eine Lawine los. Vergleichbar mit der HipHop-Bewegung stand die Rolle des gesprochenen Wortes zur Weitergabe der eigenen Geschichte im Zentrum. Nicht die fertig abgemischte CD oder das signierte Vorzugsexemplar waren das Ziel – es galt, die eigene Community mit Bewußtsein zu mobilisieren. Doch inzwischen sind Jahre vergangen, und so wie der aggressive Rap von Public Enemy die Vorbedingung für den Erfolg der Fantastischen Vier war, erschien nach der Anthologie „Slam! Poetry – heftige Dichtung aus New York“ aus dem Druckhaus „galrev“ nun der ärgerliche Sammelband „Poetry! Slam!“ bei Rowohlt. Rocko Schamoni statt Paul Beatty, Ben Becker statt Alan Kaufman.

Würde also auch der Berliner Autor Claudius Hagemeister an diesem Poe Triphop-Sonntagabend wie die Vordenker der „Pop- Fraktion“ über das „rituelle Trauerjammern der Kulturredaktionen“ schwadronieren, um dann großkotzig olle Kamellen als Underground-Perlen zu verkaufen? Keineswegs – denn erst einmal entschuldigt er sich brav beim Publikum für die halbe Stunde Verspätung und die miserable Anlage, die noch schnell repariert werden mußte. Unterstützt von Christian Isheim und dessen Arsenal analoger Synthesizer liest er im Duett mit dem Übersetzer Nick Grindell seine zwanzig „Absätze“. Der Text und seine kongeniale Nachdichtung treffen einen Groove und verschmelzen zu einem Gemisch, das sich mathematisch als Summe von Stereo MCs und goldenen Zitronen beschreiben ließe, wenn man sie durch Portishead dividierte – die LoFi-Wurzel nicht zu vergessen.

Rhythmisch erzählt Hagemeister von Alltäglichem, das, verdichtet und mit Alliterationen gewürzt, im Absurden implodiert. Für ein seifenstreifenüberzogenes Wachstischtuch und zerschlissene Schnürsenkel ist ebenso Platz wie für den Burschen von Bewohner, der gern Pitbulls provozierte. Kreuzberger Kleinkrawall und Scharen vorbeiziehender Fahrgastbetreuer begleiten zehrende Debatten über die Porösität von Filtertüten. Immer dabei: Ein weiches Tiefdunkelgrün, das sich allmählich in Schwärze senkt. Die raffinierte Cut-up-Technik entschädigt locker für den zweiten Teil des Abends, der mit computergenerierter Musik die Mehrzahl der Besucher sukzessive vor die Tür treibt. Doch spätestens beim „Sprechfestival“, das vom 7. bis 10. November in der Aktionsgalerie stattfindet, wird man wieder dabeisein – auch Claudius Hagemeister. Gunnar Lützow