Fremd in zwei Welten

Im Grips-Theater thematisieren eine Fotoausstellung und ein Theaterstück die Zerrissenheit der Kriegsflüchtlinge aus Exjugoslawien  ■ Von Isabel Fannrich

Nur der Pfeiler zeugt davon, daß hier früher ein Wohnhaus stand. An dem beschädigten Putz hängt noch das Emailleschild mit der Nummer sechzig. Auf der Schwarzweißfotografie ist jedoch nicht zu sehen, wie die einstigen Bewohner jetzt fassungslos vor den Überresten stehen: Die Familie Hadzić ist zum erstenmal seit ihrer Flucht nach Sarajevo zurückgekehrt.

Doch die seit gestern im Grips- Theater ausgestellten Fotos vermitteln nicht nur Gefühle der Heimat- und Trostlosigkeit. Die rund vierzig Schwarzweißmotive aus Sarajevo zeigen vielmehr ein paradoxes Nebeneinander von Kriegsfolgen und dennoch eingekehrter Normalität. Neben dem zerstörten Redaktionsgebäude der trotz damaliger Belagerung täglich erscheinenden, preisgekrönten Tageszeitung Oslobodenje sind unbeschädigte, von Cafés und Geschäften gesäumte Straßenzüge zu sehen. Auf einer Bank an der Hauptstraße schnürt ein Sportler seinen Markenturnschuh, nicht weit davon lehnt ein Auto noch in seiner früheren Funktion als Kugelschutz hochkant an einer Hauswand.

Erst die zu den Fotos herausgegebenen Erläuterungen erschließen die wirklichen Zusammenhänge, und scheinbare Normalität verkehrt sich in ihr Gegenteil: So verwandelt sich das Halbprofil einer alt wirkenden Frau in das Gesicht der 36jährigen, die zur Kriegszeit eingeschlossen in einem Kinderheim lebte. Jetzt erst läßt der frontale Blick auf einen Friedhof die Tennisplätze erahnen, die ihm 1992 weichen mußten. Bald sollen wiederum die Toten umgebettet werden. Als rastlos bezeichnen der Fotograf Volker Kellner und die Bosnierin Vernesa Berbo, beide Schauspieler am Grips-Theater, die Atmosphäre dieser Stadt, die sie im Sommer gemeinsam besuchten, er mit dem distanzierten Blick eines Außenstehenden, sie mit der Sehnsucht einer vor drei Jahren von Sarajevo nach Berlin Geflüchteten. In der Zwischenzeit ist sie in ihrer eigenen Stadt fremd geworden.

Die bosnische Dramaturgin Kaca Celan nennt das anders. Die Einwohner Sarajevos seien alle verrückt geworden: schizophren, gleichgültig oder fanatisch sehnsüchtig nach Normalität. Dennoch wehrt sich Kellner dagegen, in erster Linie die Zerstörung auf seinen Bildern festzuhalten. Er will vielmehr die „europäische Nähe“ der Stadt in den Vordergrund rücken. Den Bosniern werde zudem ihr hohes kulturelles Niveau abgesprochen. „Diese Barbarisierung soll Distanz schaffen zu dem nahen Nachbarn. Politiker können der Verantwortung dann aus dem Weg gehen und müssen nicht mehr auf den Krieg und seine Folgen reagieren.“ Diese Isolierung bekommt auch das bosnische Mädchen Asra aus der Grips-Inszenierung „Asra – die von Gegenüber“ zu spüren. Das Theaterstück für Menschen ab acht Jahren thematisiert den Alltag der Familie in einem Berliner Flüchtlingswohnheim und die Schwierigkeiten der Achtjährigen, mit deutschen Kindern Kontakt zu knüpfen; für diese ist sie ein fremdes Wesen mit merkwürdiger Kleidung, das in einem „gefährlichen“ Haus wohnt. Allmählich gelingt es Asra, das Interesse der Kinder für ihre andersartigen Erfahrungen zu gewinnen, doch dann droht die Abschiebung... Dabei will Asra nicht nach Bosnien zurück, das sie mit traumatisierenden Kriegserinnerungen verbindet. Die Eltern hängen zwischen den Stühlen, da sie weder in Berlin noch in Bosnien eine eigene Bleibe haben.

Das lebendige, nachdenklich- witzige Stück ist aus der Freundschaft deutscher und bosnischer Schauspieler am Grips-Theater entstanden. Begonnen hatte diese 1994 mit der Inszenierung von Bosana, einer Fluchtgeschichte aus Sarajevo, bei der Vernesa Berbo und der 1992 nach Berlin emigrierte Schauspieler Emir Joldić mitwirkten.

In „Asra“ verarbeitet Joldić die Erfahrungen seiner Tochter Maja. Den Text dazu hat die Kinderbuchautorin Anja Tuckermann nach Recherchen an Schulen und Gesprächen mit den Schauspielern geschrieben. Die Botschaft ist eindeutig: Die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien sollen nicht schon wieder der Gewalt, dem Zwang zur Rückkehr, ausgesetzt werden. Vor allem dann nicht, wenn die Bedingungen vor Ort ungünstig sind.