Nordirlands Optimismus ist verflogen

Bombenfunde und eine Schießerei bei Razzien gegen die IRA in London – der Friedensprozeß stagniert. In Nordirland steigt die Anspannung zwischen den Bevölkerungsgruppen  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ein Toter, fünf Festnahmen und ein ganzes Waffenarsenal: das ist die Bilanz der großangelegten Aktion der britischen Polizei, bei der gestern im Morgengrauen landesweit Jagd auf die Irisch-Republikanische Armee (IRA) gemacht wurde. In West-London kam es bei einer Razzia zu einer Schießerei. Ein „mutmaßlicher IRA-Terrorist“ sei später seinen Verletzungen erlegen, gab der Londoner Polizeichef Paul Condon mittags bekannt.

Der Polizei sind nach Condons Angaben zehn Tonnen Sprengstoff, drei Kalaschnikows, zwei Handfeuerwaffen und zwei Lastwagen in die Hände gefallen. „Zweifellos sind dadurch unmittelbar bevorstehende, schwere IRA- Anschläge verhindert worden“, sagte Condon. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams meinte, er gehe davon aus, daß „die IRA mit der Sache zu tun“ habe, und fügte hinzu: „Das sollte ein Antrieb für die politischen Führer und besonders für die beiden Regierungen sein, einen echten Friedensprozeß in die Wege zu leiten.“ Der britische Premierminister John Major sagte, er sei „hoch erfreut darüber, daß der IRA-Bombenanschlag vereitelt worden“ sei. „Es ist weiterhin unmöglich, Sinn Féins Rhetorik für Frieden mit den IRA- Vorbereitungen für Mord unter einen Hut zu bringen“, sagte Major.

Was die Mehrparteiengespräche angeht, so ist selbst vorsichtiger Optimismus inzwischen verflogen. Obwohl man seit Juni regelmäßig tagt, steht noch nicht mal die Tagesordnung fest. Auch die US- Delegation, die sich seit vergangener Woche in Nordirland aufhält und Schwung in die Gespräche bringen soll, weiß keinen Rat. „Wenn die Ausmusterung der Waffen als erster Punkt auf die Tagesordnung kommt, wäre das in Hinblick auf einen neuen IRA- Waffenstillstand ein echtes Problem“, sagte der frühere Kongreßabgeordnete Bruce Morrison. Ohne IRA-Waffenstillstand darf Sinn Féin jedoch nicht an den Runden Tisch.

Der irische Premierminister John Bruton hatte dagegen bei seinem Washington-Besuch vor zwei Wochen mehrmals von einem „unmittelbar bevorstehenden IRA- Waffenstillstand“ gesprochen. Daraufhin verkündeten die britischen und irischen Medien, daß eine geheime IRA-Konvention, also eine Vollversammlung aller IRA-Mitglieder, stattfinden werde, auf der über einen „endgültigen Waffenstillstand“ abgestimmt werde. Ein solches Treffen hat es seit Ausbruch des Konflikts vor 27 Jahren nur zweimal gegeben. Aber Gerry Adams, der seine druckfrische Autobiographie nun doch nicht im Londoner Unterhaus vorstellen darf, bestritt, daß eine solche Konvention geplant sei.

Zwar besteht der loyalistische Waffenstillstand nach wie vor, und auch die IRA hat offiziell ihre Gewaltkampagne in Nordirland nicht wieder aufgenommen, aber die Situation ist alles andere als entspannt. Die Polizei hat die IRA beschuldigt, hinter der Anti-Drogen- Organisation zu stecken, die vor kurzem einen angeblichen Dealer erschossen hat. Außerdem hat Sinn Féin einen Boykott zahlreicher protestantischer Geschäfte organisiert. Er richtet sich gegen diejenigen Ladenbesitzer, die während der Unruhen aufgrund der protestantischen Paraden im Juli keine Katholiken bedient haben. Protestantische Organisationen haben auf den Boykott mit der Blockade katholischer Kirchen reagiert.

Am Wochenende kam es in Ballymena und in Bushmills im Norden der Krisenprovinz zu Aufmärschen von insgesamt rund 300 Menschen. Es sei ein friedlicher Protest, sagte Ian Paisley junior, der Filius des fundamentalistischen Presbyterianer-Pfaffen. „Wäre die Lage umgekehrt, dann würden uns die Katholiken mit Knüppeln angreifen und uns von der Kirche fernhalten“, sagte er. „Das ist eben der ethnische Unterschied zwischen uns und denen.“ Nur in einem Punkt ist man sich einig: Auf beiden Seiten sind zwei Drittel der Bevölkerung davon überzeugt, daß die „Friedensgespräche“ scheitern werden.