Göttin sei Dank

■ Christa Wolf las „Medea. Stimmen“

So voll war der Audimax sonst nur bei Uni-Streiks. Obwohl 1.700 Menschen den Saal bevölkern, ist es mucksmäuschenstill, als Christa Wolf aus ihrem Roman Medea. Stimmen zu lesen beginnt: „ ... Medea bin ich jetzt. Gewachsen ist meine Natur durch Leiden“. Das Vorwort, entnommen aus Senecas Medea, wo die Protagonistin als Intrigantin und Mörderin daherkommt , dann Wolfs erster Heldin- Monolog, ein „Nicht schuldig“- Plädoyer. Schließlich melden sich andere zum Fall „Medea“ zu Wort.

Jason, von Medeas Sichtweise der Welt fasziniert, fragt sich, warum er die gefährliche Reise gewagt hat. Ist ein Goldenes Vlies so wichtig, Symbol männlicher Fruchtbarkeit hin oder her? Agameda, Medeas ehemalige Schülerin, bestraft sich selbst für ihre Zuneigung zur Lehrerin, indem sie sich an die Zerstörung der Bewunderten macht „Aber, Göttin sei Dank, bleiben die Dinge ja nie so, wie sie gerade sind.“

Auch Euripides Fassung des Medea-Mythos, die erste uns bekannte, in der sie als Kindsmörderin auftrat, enthielt feministische Ansätze, wie Medeas radikale Ablehnung der Verfügbarkeit von Frauen als Mütter oder ihre Verhöhnung der vermeintlich biologisch verankerten weiblichen Friedfertigkeit. Geht es Wolf nun allein um die Umdeutung patriarchaler Mythen? Oder ist der Ost-West-Konflikt die Hauptsache? Und wieso wieder eine antike Mythenfigur? Die Fragen bleiben ungestellt, das Publikum traut sich nicht – in ehrfürchtiger Vorsicht. Lieber stellen sich die Massen für ein Autogramm in ihre Lieblingsbücher von Christa Wolf an. So signierte die Autorin zahlreiche Kassandras und Kindheitsmuster. Kerstin Kellermann