Tod eines Sängers

■ Zensur durch Mord: Der algerische Rai-Sänger Cheb Aziz war kein Politbarde. Er besang die Liebe und den Alltag – und genau deshalb wurde er ermordet

„Ya Rai“ – „Ich sage meine Meinung“ –, Konfession am Versende der Musik sogenannter „Chebs“ (Jungen) und „Chebas“ (Mädchen), gab einer ganzen Stilrichtung ihren Namen: der in der algerischen Stadt Oran entstandenen Rai-Musik. Doch für ihre Vertreter ist es schon seit langem lebensgefährlich geworden, ihre Botschaft zu verbreiten. Nach Cheb Hasni, dem prominentesten Opfer der islamischen Fundamentalisten, der im September 1994 auf offener Straße exekutiert wurde, ist nun Cheb Aziz im Osten des Landes ermordet aufgefunden worden. Das teilten die Sicherheitsdienste am vergangenen Freitag mit.

Der 28jährige Sänger, der mit bürgerlichem Namen Bechiri Boudjema hieß, war in der Nacht zum Freitag von mutmaßlichen Fundamentalisten entführt worden. Er hatte im Stadtteil Emir Abdelkader an einer Hochzeit teilgenommen, zu der er eigens aus seinem Londoner Exil angereist war. Fast alle prominenten Rai-Sänger, darunter Cheba Zahouinia, Cheb Mami und auch Cheb Khaled, der erste Superstar des Genres, leben aus Angst vor Mordanschlägen im europäischen Ausland, größtenteils in Paris.

Cheb Aziz war selbst in Algerien kein ausgesprochener Star, weder „Prince“ noch „King“ des Rai, eher eine Lokalgröße. Bekannt war er vor allem im Nordosten des Landes, wo mehrere Kassetten, Algeriens gängige Verbreitungsform populärer Musik, mit seinen Aufnahmen kursierten. Das algerische Fernsehen sendete am Samstag ein Video, das er kurz zuvor aufgenommen hatte.

Aziz' Lieder waren, wie die der meisten Rai-Interpreten, unpolitisch, handelten von Liebe und Alltag – und genau das ist der Islamischen Heilsfront (FIS) ein Dorn im Auge. 75 Prozent der Algerier sind unter 30, vor allem aus ihnen hat die FIS vor den Wahlen von 1991 ihre Anhänger rekrutiert: den Verlierern einer gescheiterten Bildungsreform und einer überstürzten Arabisierungspolitik, denen selbst der Schulabschluß nur den Zugang zu Arbeitslosigkeit und Langeweile eröffnet. „Mir bedeutet nichts etwas außer Alkohol und Musik“, heißt eine Liedzeile von Cheb Hindi, einem der wenigen Rai-Sänger, die noch nicht nach Europa geflohen sind, sondern unter schwierigen Bedingungen weiterproduzieren.

Die Zensur qua Mord ist nur der extreme Ausdruck der Verfolgung des „nordafrikanischen Rock 'n' Roll“ und seiner Protagonisten. Wegen seiner „anrüchigen“ Texte war der Rai, der seinen Siegeszug in der algerischen Jugend in den Achtzigern antrat, schon unter dem Regime der damaligen Einheitspartei FLN in Algerien zunächst verboten. Ein Zensor wachte streng darüber, was in Radio und Fernsehen gesendet werden durfte. Auch acht Jahre nach dem Ende des Einparteiensystems wird immer noch kontrolliert, welche Rai-Titel im Radio laufen dürfen. Armin Engel