„Ich bin kein Verfassungsrisiko“

■ Rosemarie Will soll heute auf Vorschlag der SPD-Fraktion zur Verfassungsrichterin in Brandenburg gewählt werden. Ihre politischen Gegner werfen ihr ihre juristische Karriere in der DDR und ihre SED-Mitgliedschaft vor.

taz: Auch wenn alles nach einer Formsache aussieht – haben Sie Angst, heute vom Landtag nicht gewählt zu werden?

Rosemarie Will: Ich bin gespannt. Man kann nie genau wissen, was bei einer Wahl herauskommt.

Sie sind in den letzten Wochen scharf angegriffen worden. Sie seien eine „gewiefte SED-Juristin“, sagen Ihre Gegner. Angelika Barbe meint, Ihre Wahl zur Verfassungsrichterin sei ein „Affront gegen die Demokratie“. Konrad Weiß wirft Ihnen eine „lupenreine SED-Karriere“ vor. Treffen Sie solche Vorwürfe?

Ja, und ich bin durch die Diskussion langsam auch genervt: Die Vorwürfe sind zu pauschal. Natürlich muß über meine Person geredet werden, auch über meine Vergangenheit, aber nicht, indem man einzelne Zitate aus irgendwelchen Papieren von 1989 aus dem Zusammenhang reißt und damit um sich schmeißt. Ich möchte mit meiner politischen Biographie ernst genommen werden, auch mit ihren Brüchen. Natürlich hat Konrad Weiß recht, wenn er sagt, in der DDR gab es keine Juristen, sondern nur Rechtsfunktionäre, die der Macht gedient haben. Aber die Justiz, so unabhängig sie ist, ist in gewisser Weise immer Teil der Macht und muß sich mit dieser auseinandersetzen.

Ich war lange in der SED, bis zum Schluß im Januar 1990, ich habe die DDR verteidigt, oftmals ungerechtfertigt und auch viel zu lange. Aber ich nehme für mich in Anspruch, seit Mitte der achtziger Jahre für Reformen eingetreten zu sein. Angeregt durch Gorbatschow, habe ich nach anderen DDR-Rechtsstrukturen gesucht, ich habe zusammen mit den Philosophen Dieter Klein, Rainer Land, Michael Brie und anderen an einem alternativen Sozialismusprojekt gearbeitet. 1990 dann habe ich am Runden Tisch die Verfassung der DDR mit geschrieben.

Sind Sie mit dem Bruch 1989/ 1990 auch persönlich gescheitert?

Ich bin politisch gescheitert, aber ich bin daran persönlich nicht zerbrochen. Ich habe immer versucht, den Spielraum der neuen Verhältnisse produktiv zu nutzen.

Was qualifiziert Sie dazu, Verfassungsrichterin in Brandenburg zu werden?

Ganz allein das, was ich seit 1990 gemacht habe. Ich war bis 1993 Dekanin an der Humboldt- Universität – in einer komplizierten Zeit, in der es um die Erneuerung des Fachbereichs Rechtswissenschaft ging. Von 1993 bis 1995 war ich wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Sie haben sich immer wieder als Vermittlerin versucht. In der DDR sind Sie für einen „dritten Weg“ eingetreten, in Karlsruhe haben Sie versucht, Westdeutschen ostdeutsche Sichtweise nahezubringen. Ist Ihnen das gelungen?

Ja, durchaus. Neben der handwerklich sauberen Arbeit in Karlsruhe, die ich genossen habe, ging es vor allem um die Vermittlung biographischer Unterschiede. Hier habe ich viel darüber gelernt, in welcher Weise unterschiedliche Sozialisationen in Gerichtsurteile einfließen. Ganz deutlich ist das in Fragen des Eigentums.

Waren Sie die einzige Ostdeutsche in Karlsruhe?

Ich war die erste. Nach mir kam noch ein weiterer Kollege aus dem Osten. Damals gab es übrigens einen Streit, ob ich mit meiner Vergangenheit überhaupt tauglich bin fürs Bundesverfassungsgericht, der noch heftiger war als der jetzige. Normalerweise ist die Bestellung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters die Sache des einzelnen Richters, aber weil mein Fall so politisiert war, hat Roman Herzog, der damals als Präsident des Bundesverfassungsgerichts meine Mitarbeit unterstützt hat, entschieden, das Plenum darüber befinden zu lassen. Das Plenum hat schließlich für mich votiert.

Haben Sie das Gefühl, über eine Meßlatte demokratischer Gesinnung springen zu müssen, um so einen Posten wie Verfassungsrichterin ausüben zu können?

Da bin ich schon längst drüber gesprungen. Außerdem habe ich nicht das Gefühl, drüber springen zu müssen. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, sehr konkret an meiner geleisteten Arbeit gemessen worden zu sein. Seit meiner Zeit als Dekanin an der Humboldt-Universität bin ich in der Bundesrepublik angekommen. Juristisch ausgedrückt: Ich stehe voll und ganz zu dieser Rechtsordnung. Als Verfassungsrichterin bin ich nur einem verpflichtet: der Verfassung.

Wolfgang Ullmann hat vorgeschlagen, Sie sollten nicht in Brandenburg, sondern irgendwo im Westen Richterin werden.

Ich finde, eine Ostdeutsche sollte auch in Ostdeutschland Verfassungsrichterin werden. Hier sind meine Erfahrungen wichtig.

Hinter Ullmanns Vorschlag steht der Gedanke, Sie sollten in einem demokratisch gesicherten Umfeld arbeiten.

Keine Bange: Ich bin kein Verfassungsrisiko.

Interview: Jens König

und Ute Scheub