„Ich denke, ich bin das“

■ Victor Braun: bei den „Meistersingern“ in der Rolle des Hans Sachs/Nach der sechsten Inszenierung spielt er „wie im Schlaf“

“Ich habe den getroffen, den ich kenne“, sagt Victor Braun, der die Rolle des Hans Sachs in Wagners „Meistersingern“ in seiner nunmehr sechsten Inszenierung spielt.

taz: Herr Braun, Hitler hat 1938 zum Reichsparteitag die Meistersinger aufführen lassen und noch einmal zur Hebung der Kriegsmoral 1943. Hat das für Sie als Kanadier eine Bedeutung?

Victor Braun: Nein, nicht mehr. Meine Eltern sind aus Rußland ausgewandert, wir hatten mit den Nazis nichts zu tun.

Der Wiener Kritiker Eduard Hanslick, der in der Figur des Beckmesser karrikiert wird, hat Wagner die Polyphonie als zu verstandesmäßig vorgeworfen, er hat sie „Produkt der Reflexion“ genannt. Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Dieser Herr wollte das Neue dieser Oper nicht begreifen. Was wollte er denn? Arien und Duette? Das ist doch wunderbar, wenn das Orchester was anderes macht, als ich denke – zum Beispiel.

Wagner hat gesagt, der Sänger müsse die Komposition neu erfinden. Was bedeutet das für Sie?

Die Aussage kannte ich nicht. Aber es ist mein höchstes Ziel, das haben mir auch schon viele Regisseure bestätigt. Oft fühle ich mich auch eher als Schauspieler.

Als Wieland Wagner 1956 der Oper die Butzenscheiben und die gotischen Fenster wegnahm, gab es in Bayreuth einen Skandal. Braucht man die Kulisse mittelalterliches Nürnberg?

Nein. Das kann auch Bremen sein, in einer anderen Zeit. Es sind zeitlose psychologische Probleme.

Hans Sachs hat in allem, was er tut, zwei Seelen: er schwankt zwischen Tradition und Avantgarde, zwischen seiner Liebe zu Eva und Verzicht darauf. Empfinden Sie eigentlich diese Pole in ihm als versöhnte, oder fühlen Sie sich zu einer Seite dieses komplexen Menschen mehr hingezogen?

Naja, er hat schon diese Spaltung, aber genau dadurch hat er auch kein Korsett. Ich empfinde ihn einfach als vollkommen locker. Und das bin ich auch. Ich muß diese Rolle gar nicht spielen.

Die Rolle des Hans Sachs ist nicht irgendeine. Was bedeutet die Auseinandersetzung mit ihm für Sie persönlich?

Man lebt mit ihr ein Leben lang. Ich habe den getroffen, den ich kenne. Ich denke, ich bin das.

Sie haben in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren die Rolle schon in sechs zum Teil großen Inszenierungen gesungen. Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Die Rolle ist so wahnsinnig schwer, hat so viele Wörter, daß ich am Anfang sehr damit beschäftigt war, das überhaupt zu bewältigen. Inzwischen singe ich es im Schlaf und kann mich voll der Gestaltung widmen. Fragen:

Ute Schalz-Laurenze

Samstag um 17 Uhr im Theater am Goetheplatz: Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg