Filmeland im Aufbruch

■ Keine Stars, aber trotzdem eine Menge Renommee: Gegründet wurde die Deutsche Film- und Fernsehakademie, um den Muff von tausend Jahren zu verscheuchen - jetzt wird sie dreißig Jahre alt

Es war die erste Filmakademie, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland eröffnet wurde: Im September 1966 nahmen 36 Studenten ihr Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) auf. Neben der Münchener Filmakademie, die ein Jahr später startete, war sie eine der Geburtsstätten des Neuen Deutschen Films, die das deutsche Kino für ein paar Jahre international salonfähig machte.

Freilich: Richtige Regiestars sind aus der DFFB nicht hervorgegangen. Wirklich berühmt ist eigentlich nur Wolfgang Petersen (Das Boot, Die unendliche Geschichte), der 1966 unter den allerersten DFFB-Studenten war. Zum Neuen Deutschen Film gehörte Petersen allerdings nur ganz am Rande, heute dreht er in Hollywood teure Dutzendware. Doch auch einige andere DFFB-Absolventen sind inzwischen bekannt geworden. Besonders stolz ist man auf Detlev Buck, aber auch andere Regisseure mit internationalem Renommee, darunter Daniel Schmid, Helke Sander, Peter Krieg, Christian Petzold, Christian Ziewer, Harun Farocki und Hartmut Bitomsky, wurden an der DFFB ausgebildet.

Klub der alten Männer im Filmgeschäft

Die Gründung der DFFB vor 30 Jahren war ein spätes Resultat des Oberhausener Manifests, in dem es hieß: „Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden.“ In der Tat stand das westdeutsche Nachkriegskino Anfang der Sechziger kurz vor der Selbstabschaffung. Die westdeutsche Filmindustrie war nach dem Krieg von Leuten geprägt, die schon vor 1945 präsent gewesen waren. Dieser „Club alter Männer“ kontrollierte in den fünfziger Jahren das Filmgeschäft und verhinderte, daß neue Impulse sich durchsetzen konnten.

Nicht nur erfolgreiche Regisseure, die aus dem Exil zurück in die BRD kamen (wie Fritz Lang, Max Ophüls, Billy Wilder, William Dieterle, Robert Siodmak etc.), erfuhren am eigenen Leibe, daß die westdeutsche Filmindustrie der Fünfziger zu einem großen Teil aus alten Nazis und Mitläufern bestand, die die Rückkehrer nach ein oder zwei Produktionen meist wieder aus Deutschland hinausekelten. Auch junge FilmemacherInnen hatten gegenüber diesem Establishment keine Chance.

Die deutsche Filmproduktion der Nachkriegszeit bestand darum zum größten Teil aus einer endlosen Reihe von albernen Klamotten, Heimatfilmen und Landserdramen, aus Halbstarken- und Paukerfilmen. Anfang der Sechziger drohte die deutsche Filmindustrie an ihrem eigenen Muff zu ersticken. Diese Filme waren nicht nur nicht ins Ausland exportierbar, auch in Westdeutschland wollten immer weniger Leute diese formelhafte Durchschnittsware sehen.

So war es keineswegs nur ein ästhetisches Urteil, als die Oberhausener 1962 proklamierten: „Papas Kino ist tot!“ Es war vielmehr eine wirtschaftliche Tatsache. „Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films“, von dem im Oberhausener Manifest die Rede ist, war ein totaler: in der Produktion, im Vertrieb, im Abspiel. Die staatliche Unterstützung des deutschen Kinos, die Alexander Kluge Anfang der sechziger Jahre gefordert und mit durchgesetzt hatte, war darum auch eine Wirtschaftssubvention. Sie sollte einem ins Trudeln geratenen Wirtschaftszweig wieder auf die Beine helfen. Und die Einrichtung von Filmschulen war ein wichtiges Element dessen, was man heute „Standortsicherung“ nennen würde.

In dem nachgeschobenen Aufsatz „Was wollen die Oberhausener?“ nannte Kluge mehrere Ziele, die dem deutschen Film aufhelfen sollten: die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung junger deutscher Film, die Förderung freier Kurzfilme „als das natürliche Experimentierfeld des Films“ und die Gründung eines „geistigen Zentrums des Films, in dem sich Nachwuchs bilden kann und in dem theoretische Arbeiten und Entwicklungsarbeiten, wie sie für jede Industrie, auch für die Filmindustrie nötig sind, ihren Ort haben“.

Es sollte einige Jahre dauern, bis diese Forderungen – auch dank Kluges beharrlicher Lobbyarbeit – eingelöst wurden. Mitte der Sechziger wurde das Kuratorium Junger Deutscher Film gegründet, eine Stiftung, die die Produktion von Debütfilmen von Regisseuren finanzieren sollte, die sich durch die Produktion von Kurzfilmen bewiesen hatten. 1966 nahm die Filmhochschule in Berlin ihren Lehrbetrieb auf.

Nachdem lange verschiedene Organisationsformen diskutiert worden waren, hatte man sich schließlich auf das Modell einer GmbH geeinigt, in deren Vorstand Vertreter des Bundes und des Berliner Senats gleichberechtigt vertreten waren. Als Gründungsdirektoren berufen wurden Heinz Rathsack und der vor einigen Wochen verstorbene Dokumentarfilmer Erwin Leiser (Mein Kampf), der von dem ursprünglich als Direktor designierten Peter Weiss vorgeschlagen war.

Wegen Leisers autoritären Verhaltens und der politischen Aufmüpfigkeit der Studenten kam es an der DFFB zu heftigen Auseinandersetzungen, wegen derer die Schule Ende der Sechziger beinahe wieder geschlossen worden wäre. Viele Studenten der ersten DFFB-Generation waren Ende der Sechziger im SDS organisiert und an Aktionen der APO beteiligt. Im Mai 1968 wurde die Filmakademie von Studenten besetzt, und in „Dziga-Vertow-Akademie“ umbenannt, im Herbst wurden 18 Studenten von der Schule verwiesen und bekamen Hausverbot, nachdem sie das Büro des Direktors Rathsack gestürmt hatten.

Aus dieser Zeit rührt auch ein alter Antagonismus zwischen den Studenten der Berliner und der Münchener Filmhochschule. Während in München Ende der sechziger Jahre die sogenannte „Sensibilisten-Fraktion“ um Wim Wenders ihre Künstlerbefindlichkeit in langsam erzählten Kunstfilmen voll langer Plansequenzen Ausdruck verlieh, wollte man in Berlin ein neues Agitationskino schaffen.

Rainer Gansera beschrieb den Gegensatz zwischen der Münchener und der Berliner Schule in einem Aufsatz später so: „In München zeigte sich bei den Studenten eine gewisse Vorliebe, Filme in langen, langen Einstellungen zu machen, manchmal waren sie so lang, wie es technisch möglich war, bei 16 mm etwa ganze 10 Minuten, bei Video Stunden. Diese langen Einstellungen hatten eine merkwürdige Affinität zu Autofahrten, zu Männern, die Schußwaffen bei sich trugen, zur untergehenden Sonne. So spottete man in Berlin: Ein Film aus München: Autofahrt, lange Einstellung, und hinten geht die Sonne unter. In den Filmen aus Berlin hingegen ging die Sonne auf, spätestens mit dem theatralisch-tragisch-archaischen Kampf zwischen Gut und Böse, der naturgemäß in Schüsse und Gegenschüsse verschiedener Länge zerlegt werden konnte.

Agitation versus Ästhetik

Ob die Kamera auf dem Stativ zu stehen habe, ob der Zoomhebel betätigt werden dürfe, Fragen, die in München im ersten Fall mit Ja, im zweiten mit Nein zu beantworten selbstverständliches Bestreben wurde, standen in Berlin nicht auf der TO (Tagesordnung). Dort gab es den Ehrgeiz, die Methoden der Lehr- und Werbefilme zu studieren, um sie wirksam – natürlich umfunktioniert – einzusetzen. Darüber wurde in München gespottet: Wie kann man irgendwas Emanzipatorisches mit den Mitteln einer Verfügungssprache betreiben. Der Gegensatz zwischen München wurde als der zwischen Politik und Ästhetik stilisiert.“

Bis heute hat die DFFB den Ruf einer „linken“ Filmhochschule. In der Tat wurden von Berliner Filmstudenten lange der Sozialdokumentarismus und der gesellschaftskritische Film gepflegt, während in München tendenziell eher Filmkunst und in den letzten Jahren zunehmend auch das konventionelle Erzählkino gemacht wurde. Ob diese Fraktionierungen heute noch existieren, kann man morgen und übermorgen an der DFFB bei einem „Tag der offenen Tür“ nachprüfen. Tilman Baumgärtel

Symposium „Kreative Lust – Kreative Strenge“ u.a. mit Rosa von Praunheim, Helke Sander, Siegfried Zielinski und Peter Lilienthal am 27.9., 15–18 Uhr in der Cafeteria, ab 19 Uhr neue Studentenfilme im Kino der DFFB. Tag der offenen Tür mit Filmvorführungen am 28.9., 12–19 Uhr, Heerstr. 18–20