Großes Orchester vor leerem Haus

Berliner Kultur in Zeiten des Haushaltslochs: Sind die drei Berliner Opernhäuser noch zu retten – Die ambivalenten Sparpläne des Kultursenators zu „repräsentativer“, „demokratischer“ und „theatralischer“ Musikkultur  ■ Von Christine Hohmeyer

Was macht eine Oper ohne Tenor? Wie hilft sich ein Opernhaus aus der Klemme, wenn es sich zwar noch ein Orchester und einen Opernchor leisten kann, aber schon für neue Inszenierungen kein Geld mehr hat? Die Lage der drei großen Opernhäuser Berlins ist prekär. Zwar scheint in den Sparplänen des Berliner Senats zumindest die Schließung eines der Opernhäuser vom Tisch zu sein. Doch ohne strukturelle Veränderungen können die Häuser angesichts der Sparzwänge nicht weitermachen. Durch individuelles Dahinwursteln, durch fehlende Konzepte und Kooperationen geht es bei allen Häusern schon jetzt ans Eingemachte.

Warum so dramatisch, möchte man fragen, zusammen haben Berlins Opernhäuser doch 20 Prozent und damit den Löwenanteil der staatlichen Kulturförderung bekommen. Mit einem Zuschuß von rund 87 Millionen ist die Deutsche Staatsoper Unter den Linden der Gigant unter den staatlichen Bühnen, gefolgt von der Deutschen Oper mit rund 80 Millionen. Dagegen nimmt sich die Komische Oper vergleichsweise sparsam aus, bekommt sie doch nur etwa 62 Millionen aus dem Topf des Senators für Wissenschaft und Kultur.

Orchester, die Chöre und das gesamte Personal, das nach Tarif bezahlt wird, machen die hohen Fixkosten der Oper aus. Zu den Tarifsteigerungen in diesem Bereich, die den Etat der Opern belasten, kommt, daß Dirigenten und SolistInnen ihren Preis haben, der sich, so unangemessen man das im einzelnen finden mag, an internationalen Standards mißt. Dieser Markt ist unempfindlich gegenüber regional erzwungenen Budgetkürzungen. So kommt es, daß beispielsweise die Deutsche Staatsoper in diesem Jahr allein für Personalausgaben 94,8 Prozent ihres gesamten Etats aufwenden muß, und das, obwohl seit 1994 die Opernbühnen bereits neun Prozent aller Stellen eingespart haben. Daß da nicht mehr viel bleibt, um aufwendige Inszenierungen zu planen, liegt auf der Hand. Renommierte Berliner Aufführungen, die in der Vergangenheit über den Tellerrand Berlins Aufsehen erregten, wie Chéraus „Wozzek“-Inzenierung oder der „Troubadour“ von Neuenfels, gar Uraufführungen wie „Das Schloß“ von Reimann oder „Der gewaltige Hahnrei“ von Goldschmidt, konnten sich die Häuser bisher schon nicht allzuoft leisten, in Zukunft würden sie unmöglich sein, wenn nicht an anderer Stelle gespart wird. Die Frage ist, wo?

So entschlossen der Kultursenator sich auch gebärdet, so sehr konkret sind die Sparvorschläge noch nicht. Das Radunski-Papier ist gerade in der Opernfrage deutlich ambivalent und programmatisch vage. In der Hauptsache wird mit dem Pfund der Metropole gewuchert und beteuert, daß Berlin „die einmalige“ Chance habe, sich mit den drei Häusern „weltweit als Opernmetropole zu profilieren“. Hier wird darauf gesetzt, daß die Häuser, die zur Zeit schlappe 10 bis 15 Prozent des Etats selbst erwirtschaften, sich selber helfen – durch „zielorientiertes Marketing“ und bessere Auslastung durch Besucher. Um den Bedarf ist dem Senat nicht bange. Euphorisch heißt es: „Das Potential an Besuchern wird sich vergrößern, besonders mit Blick auf nationale wie internationale Gäste und Mitarbeit neuer Unternehmen.“ Diese Einschätzung scheint ein Fall von Hauptstadtwahnsinn. Tatsächlich sind die Besucherzahlen der Häuser rückläufig, liegt der Auslastungsgrad der Deutschen Staatsoper 1995 mit 66,8 Prozent deutlich niedriger als noch im Vorjahr (70,2 Prozent). Doch wenn die Kunst schon mit der Effizienz kompatibel ist, haben die Berliner Opernhäuser denn dann wenigstens das künstlerische Charisma, das einer „Opernmetropole“ gebührt?

Die Einschätzungen des Senatspapiers sind hier vorsichtig. Eine „Akzentuierung der Profile“ sei vonnöten. Hier orientiert sich das Papier an der zweifelhaften Eigendarstellung der einzelnen Häuser: die Deutsche Oper als moderne Spielstätte, die für die „demokratische Form des Kunstschaffens“ stehe (was immer diese Floskel auch bedeuten mag), die alte Lindenoper als Ort der Repräsentation und Traditionspflege, die Komische Oper als profilierte Spielstätte des „theatralischen Musiktheaters“. Diese Profile sind längst bis zur Unkenntlichkeit verwaschen. Die Deutsche Oper beispielsweise als ausdrücklich modern und demokratisch zu kennzeichnen, erscheint absurd angesichts der Tatsache, daß sie die Herren Henze und Reimann für den Gipfel der Moderne hält. Hier ist dem Senatspapier nur beizupflichten, das eine stärkere Profilierung für notwendig hält. Schleierhaft bleibt, wie mit profilierten Aufführungen die „Verbessung zwischen Aufwand und Ertrag“ hergestellt werden soll.

Die einzigen Vorschläge, die tatsächliche Einsparungen verheißen, sind struktureller Art und zielen auf Kooperation der Opernhäuser untereinander. Eine Zusammenlegung von Werkstätten und Verwaltungsbereichen, gemeinsames Marketing und die Abstimmung der Spielpläne und Spielzeiten untereinander zwecks Auffüllung des Sommerloches erscheinen praktikabel, sind aber auch vom guten Willen der Beteiligten abhängig. Die jedoch verhalten sich, zumindest nach außen hin, eher abwartend. „Angaben zur Positionierung der drei Opernhäuser bedürfen zweifellos der Präzisierung ...“, sagt Götz Friedrich und bleibt damit ebenso vage wie das Papier, auf das er sich bezieht. Nein, eine öffentliche Stellungnahme zu dem Radunski-Papier hätten sie noch nicht, erklärt die Komische Oper, aber immerhin seien sie ja auch schon mit dem Vorschlag zur Bespielung des Sommerloches „vorgeprescht“.

Wie mittels derartigem Gezaudere das Haushaltsloch gestopft oder gar die Profilierung der Opernmetropole vorangetrieben werden soll, steht in den Sternen. Doch die Diskussion über neue Stukturen läßt sich nicht länger verschieben. Es ist höchste Zeit für Kooperation. Wenn die Leitungen der Opernhäuser sich dem verweigern, werden sie sich bald vor die absurde Situation gesetzt sehen, daß sie zwar phantastische Orchester ihr eigen nennen, aber keine Inszenierungen mehr haben, zu denen sie diese spielen lassen könnten. Christine Hohmeyer