Die Hauptverantwortlichen sind noch frei

■ Heute beginnen die Prozesse vor dem Internationalen Ruanda-Tribunal

Arusha (taz) – „Nein, das Gefängnis können Sie nicht besuchen.“ Der Senegalese Bocar Sy ist einer der Pressesprecher des internationalen Tribunals für Ruanda, das seinen Sitz in Arusha hat. Bisher habe er solche Anfragen an den Gerichtsschreiber weitergeleitet, der wiederum an die tansanischen Behörden verwies. Das Gefängnis, in welchem mutmaßliche Verantwortliche des Völkermordes in Ruanda einsitzen, untersteht den tansanischen Behörden.

Auch sonst geben sich die Mitarbeiter des Tribunals eher zugeknöpft. Ob die Verhandlungen öffentlich stattfinden, weiß selbst am Vortag niemand so recht. Fest steht, daß die Verhandlungen heute beginnen; die belgischen Anwälte der beiden Angeklagten Jean Paul Akayesu und Georges Rutaganda sind in bereits in Arusha eingetroffen. Jean Paul Akayesu ist der ehemalige Lehrer und Bürgermeister von Taba, einer Gemeinde in Zentralruanda. Akayesu wird des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verletzung der Genfer Konvention angeklagt. Konkret wird er beschuldigt, in seiner Funktion als Bürgermeister die Massaker an Tutsi in seiner Gemeinde nicht verhindert zu haben und Morde an Tutsi, von denen behauptet wurde, sie seien Sympathisanten der Ruandisch-Patriotischen Front (RPF), in Auftrag gegeben zu haben. Die Anklage wurde am 30. Mai dieses Jahres verlesen, Akayesu plädierte auf nicht schuldig.

Auch Georges Rutaganda erklärte sich Ende Mai für nicht schuldig. Der 38jährige war zweiter Vizepräsident der Interahamwe, jener extremistischen Hutu-Miliz, die sich von April bis Juni 1994 durch besondere Grausamkeit hervorgetan hatte. Rutaganda wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit der internationalen Gerichtsbarkeit entziehen können. Gestern früh tagte das Gericht hinter verschlossenen Türen, um über den Gesundheitszustand Rutagandas zu befinden. Nach Gerüchten, die in Arusha zirkulieren, ist er schwer krank und soll freigelassen und im Krankenhaus gepflegt werden – ein nicht gerade geglückter Auftakt für die Verhandlungen in Arusha, sollte das Gericht tatsächlich so entscheiden.

Das Internationale Tribunal für Ruanda wurde bereits im November 1994 durch eine UN-Resolution ins Leben gerufen. Es hat die Aufgabe, die Verantwortlichen des Völkermords im gleichen Jahr zu richten. Daß Arusha als Sitz gewählt wurde und nicht Den Haag, liegt auf der Hand. „Arusha“, erklärt Bocar Sy, „ist aus logistischen Gründen praktisch, da es nahe bei Ruanda liegt. Der Transport der Zeugen ist einfacher, kürzer und billiger.“

Vier mutmaßliche Verantwortliche warten gegenwärtig in den für das Internationale Tribunal gebauten Zellen auf ihre Verhandlung. Die internationale Staatengemeinschaft tut sich schwer mit der Auslieferung jener, die sich ins Ausland abgesetzt hatten. Viele Staaten mußten erst eine gesetzliche Grundlage schaffen, auf die sie ihre Zusammenarbeit mit dem Internationalen Tribunal stützen konnten. Weitere Angeklagte warten in Kamerun, Belgien und der Schweiz auf ihre Auslieferung. Bisher wurden 22 Personen der Beteiligung am Massenmord in Ruanda angeklagt, zehn Namen sind der Öffentlichkeit bekannt, die anderen werden geheimgehalten, um eine Verhaftung der Angeklagten nicht zu gefährden. Die großen Fische bewegen sich noch immer frei. Andrea König