Großkonzerne blasen zum Kampf

■ Nach Daimler-Benz kürzen auch Siemens, Hoechst und BASF die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für ihre Mitarbeiter. Erste spontane Arbeitsniederlegungen bei Mercedes. Strategietreffen der Betriebsräte bei der IG Metall

Berlin (taz) – Daimler-Chef Jürgen Schrempp ist vorangegangen – und viele folgen. Gestern hat ein halbes Dutzend deutscher Großunternehmen mit über 600.000 Beschäftigten seinen Mitarbeitern angekündigt, daß die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall künftig auf 80 Prozent verringert wird. Auch für die 200.000 deutschen Angestellten von Siemens soll die Lohnfortzahlung künftig gekürzt werden. Der Vorstand des Münchener Elektrokonzerns habe dies schon am vergangenen Freitag beschlossen, sagte der Siemens- Gesamtbetriebsratsvorsitzende Alfons Graf gestern.

Dabei spielte es für die Konzernchefs keine Rolle, ob damit – wie bei Daimler- Benz und Siemens – geltende Tarifverträge aufgekündigt werden oder – wie bei den Chemiekonzernen BASF und Hoechst – lediglich das vom Bundestag gerade verabschiedete Sparpaket im betrieblichen Alltag umgesetzt wird. In der Chemiebranche ist die 100prozentige Lohnfortzahlung nicht tarifvertraglich geregelt.

Insbesondere in der Metallbranche treffen die Konzernchefs mit ihren Kürzungen auf erbitterten Widerstand. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Daimler- Benz-Konzerns, Karl Feuerstein, kündigte im taz-Interview das Ende von Überstunden im Konzern an. „Ich kann mir vorstellen, daß die Belegschaft am Samstag in den Sonderschichten einfach nicht erscheint.“ Gespräche über weitere Kosteneinsparungen beim Konzern seien vorläufig eingestellt worden. IG-Metall-Bezirkschef Gerhard Zambelli meinte, „ein ehemals nobles deutsches Unternehmen hat sich zur Speerspitze von Vertragsbrechern gemacht“. Der Metalltarifvertrag für Nordwürttemberg/Nordbaden sehe eindeutig eine Lohnfortzahlung von 100 Prozent vor, unabhängig von den neuen gesetzlichen Vorschriften. In Bremen legten 2.000 Daimler-Mitarbeiter für eine Stunde spontan die Arbeit nieder.

Zu Wochenbeginn hatten sich Gewerkschafter aus 60 großen Metallbetrieben, darunter Vertreter der Belegschaften aller Autokonzerne, in Frankfurt bei der IG Metall zu einem Strategiegespräch getroffen. Anschließend kündigten sie Unruhe in den Unternehmen an für den Fall, daß die geltenden Tarifverträge gebrochen würden. Daimler-Vorstandsmitglied Manfred Gentz reagierte auf die Drohungen mit der Warnung vor wilden Streiks. „Wir lassen uns nicht erpressen“, so das für Personal zuständige Vorstandsmitglied des größten deutschen Konzerns.

Bei VW, Opel und bei der Preussag setzten die Arbeitgeber gestern auf eine weiche Lösung. Die Vorstände wollen offenbar die gültigen Tarifverträge vorläufig nicht antasten. „Wir haben einen Tarifvertrag mit den Arbeitnehmern ausgehandelt, den wollen wir einhalten“, so ein VW- Vertreter. Die Unternehmensspitzen von BMW, MAN und KHD ließen gestern mitteilen, man wolle noch abwarten.

Der Durchmarsch der Daimler-Spitze hat bei den Daimler-Gewerkschaftern basses Erstaunen ausgelöst. Die Auftragsbücher vor allem der Daimler-Tochter Mercedes-Benz seien bis zum Rand voll. Die Mercedes-C- und -E-Klasse gingen weg wie die warmen Semmeln, und auch der neue, in Bremen gefertigte Roadster sei ein Verkaufsschlager. Die Aufkündigung der Lohnfortzahlung werde zu erheblichen Lieferschwierigkeiten führen, prognostizierte Helmut Lense, Mercedes- Betriebsratschef am Standort Stuttgart.

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