Nicht für Sozialhilfe zuständig

■ Bücherhallenschließung in Veddel – ein Beispiel für die bitteren Folgen der Sparpolitik

Schiffskräne, Industrieschlote und Abgase: Veddel, wie eine Insel von der Elbe umschlossen, hat die höchste Sozialhilfeempfängerrate Hamburgs. Arbeitslosigkeit und Armut prägen den Alltag. In dieser trostlosen Wohnblocklandschaft, in der es keine Theater, Kinos oder Buchhandlungen gibt, leben 60 Prozent Migranten und Migrantinnen. Die Bevölkerung wehrt sich mühsam gegen Zurücksetzungen der Veddel. Derzeit existiert noch ein kleiner, kultureller Lichtblick, der aber – geht es nach den Plänen von Kulturbehörde und Bücherhallenstiftung – mit Anfang des nächsten Jahres verlöschen soll: die örtliche Leihbibliothek.

„Paul, ich denke dir geht's dreckig!“, eine Lehrerin entdeckt einen großgewachsenen schwarzen Jungen in der Bücherhalle. Schulschwänzer, Rentner, Studierende, Jugendliche, Kinder, alles trifft sich in der 60 Jahre alten Bibliothek. In einer Schule untergebracht, die mit 87 Prozent Migrantenanteil den Rekord in Hamburg hält, werden hier Bilderbuchkino vorgeführt, Sprachkurse angeboten und türkische Musikcassetten, Zeitungen und Romane verliehen.

„Als ich neu hierherkam sagte meine Lehrerin, geh' doch in die Bücherhalle. So habe ich Deutsch gelernt“, sagt Ayshe. Für moslemische Mädchen ist die Bücherhalle als Kommunikationsmittelpunkt existenziell. „Wir machen aus Platzmangel teilweise sogar die Hausaufgaben hier“, sagt ein anderes Mädchen.

Die stellvertretende Direktorin der Bücherhallen, Marie-Luise Warnk, hält Veddel für eine der am schwächsten genutzten Einrichtungen und überhaupt könnten die Bücherhallen „nicht die Sozialarbeit ersetzen“. Veddel gelte nicht als „sozialer Brennpunkt, wie St. Pauli.“ Sie stellt sich vor, daß die Schule die Räume der Bücherhalle und einen Teil des Bestandes und der Elternrat die Verteilung übernehmen könnte. In dieser Variante fielen aber Rentner, Erwachsene, sowie die Kleinkinder völlig raus.

In Veddel versteht niemand, Sozialarbeit hin oder her, warum gerade bei denen gekürzt werden soll, die schwer das Geld für Bücher, Sprachkurse oder für Fahrkarten nach Wilhelmsburg in die nächstgelegene Bücherhalle aufbringen können. Und gerade mal 120.000 Mark könnten mit der Schließung gespart werden. Das erscheint gering gegenüber dem sozialen Wert, aber Warnk besteht auf gleichmäßiger Verteilung über die Stadtteile.

„Könnte aus der Zusammenarbeit von Bücherhalle und Schule, gemeinsam mit anderen Trägern, nicht eine politisch großzügigere Lösung, wie ein gemeinsamer Finanztopf zur Stadtteilkommunikation, entstehen?“ fragt eine andere Lehrerin. Eile ist jedenfalls angebracht. Kerstin Kellermann