Kopfsprung ins Seichte

■ Eröffnungspremiere im Schauspielhaus mit „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“

Sieben schwule Männer treffen sich zu Entspannungswochenenden auf dem Landsitz eines berühmten Choreografen (schon sehr amerikanisch). Sie alle haben irgendetwas mit Tanz oder Musical zu tun (1. Steigerung) und wandern im Plauderton über die Themen Liebe, Untreue, schwules Selbstbewußtsein und Aids (hallo Broadway!). In wohlgedrechselten Dialogen, deren boulevardeske Flottheit Regisseur Gustav Peter Wöhler mit einer ebensolchen Inszenierung versieht, zeigt Autor Terrence McNally eine heile Welt der Homosexualität, in der die emotionalen, gesellschaftlichen und tödlichen Probleme in weicher Watte wohl verwahrt zur Soap für Kluge transformiert werden.

Tränenrührige Monologe und großformatige Gefühlstuben sorgen gegen Ende zwar noch einmal dafür, daß niemand vergißt, daß Aids eben Aids und Einsamkeit eben Einsamkeit ist – und nicht vordringlich ein Dinnerthema –, aber bis dahin hat man die sieben flockigen Typen mit ihren so offensichtlichen Problemen schon so lieb gewonnen, daß man von ihrer fein gespielten Ebene herzlicher Blasiertheit kaum noch herunterkommt.

Im Gegensatz etwa zu Angels In America, das ja auch ein Boulevard-Stück über Schwulsein und Aids in Amerika ist, hat Liebe! Stärke! Mitgefühl! kaum Brüche oder Abstiege ins Unbewußte aufzuweisen und interessiert sich höchstens am Rand für die politische Bedeutung von sexueller Diskriminierung. Da sich McNally hier im Milieu von Reichtum und Kultur (wozu der Amerikaner ja auch das Musical zählt) bewegt, wo es völlig im Diffusen bleibt, ob die Anwesenden dank ihres Geldes oder einer bewußten Emanzipation ihr schwules Selbstverständnis entwickeln konnten, bleibt alle thematische Brisanz hinterm Horizont. So trullert das Stück eben durch das Luxusdasein einiger Wohlstandsmänner, das dadurch, daß sie schwul sind, auch nicht interessanter wird.

Dabei ist das Miteinander durchaus überzeugend gespielt. Alle sieben Schauspieler (Michael Wittenborn, Wolf Aniol, Jean-Pierre Cornu, Thomas Mehlhorn, Roland Renner, Michael Weber, Tonio Arango) finden den besonderen Akkord ihrer Rolle und die meisten Lacher zünden. Auch die Regiearbeit von Wöhler macht vielleicht das einzig richtige mit der Vorlage, indem sie die Unterhaltungsqualitäten forciert und nicht versucht, Probleme künstlich zu konstruieren – im seichten Gewässer taucht es sich schlecht.

Schieben wir die Schuld also auf das Pech. Denn die ursprünglich geplante Eröffnungspremiere im Großen Haus, Clockwork Orange, konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht stattfinden, so daß ein Malersaal-Häppchen auf die zu große Bühne gestemmt werden mußte. Da hilft dann nur noch Mitgefühl!

Till Briegleb