Das Schreien der Lämmer

■ Heiter, farbenfroh - und auch ein bißchen fies: In den Cartoons von Barbara Wrede kriegen alle ihr Fett weg, Menschen, Tiere sowie das Schicksal als solches

Radikale TierschützerInnen hätten vermutlich keine Freude an Barbara Wredes Zeichnungen. Denn darin wird die unschuldige Kreatur nicht nur unartgerecht gehalten, sondern überdies ohne Erbarmen der Pointe geopfert. Mal dient ein Lamm als Zahnstocher, mal mutiert eine Katze zum Hut oder Schuh. Schweine helfen dem Bauern beim Mistgabelweitwurf, was erwartungsgemäß blutige Folgen hat, und ein Dackel gibt einen praktischen Badezimmerständer ab. „Wo ist Rüdiger?“ heißt das Buch, das diese heiteren Gemeinheiten versammelt und das Wrede in der sehr limitierten Auflage von drei Exemplaren eigenproduziert hat.

Das Brathähnchen hinter der Spüle

Die Küche ihrer Treptower Wohnung dient künstlergerecht zur Nahrungsaufnahme wie zum Zeichnen. Das Foto eines Brathähnchens vor grünem Hintergrund hängt über der Spüle, und auf dem Tisch liegt zwischen Skizzen und Zeichengerät eine Tüte mit Plastiktieren, wie man sie früher zur Ausstaffierung des Spielzeugzoos oder -bauernhofs sammelte. Ein paar Schweine, eine Giraffe mit Streichholzbein, einige Fabelwesen. Die, erzählt Wrede, baue sie vor sich auf, wenn ihr nichts einfalle, und meistens reiche das zur Anregung. „Das mit den Tieren“, erklärt sie, „das hat auch mit früher zu tun, ich bin auf dem Dorf groß geworden.“ Im niedersächsischen Wittingen, das 500 Einwohner zählt und zehn Kilometer von der ehemaligen DDR- Grenze entfernt liegt. „Da war überhaupt nichts“, sagt Wrede, auf deren Jugend in der Provinz eine Ausbildung zur Tischlerin im Oberammergau folgte. Dann kamen das Kunststudium an der Kasseler Gesamthochschule, zwei Stipendien in Künstlerdörfern und schließlich, als Wrede von dieser – wie sie sagt – „Kinderlandverschickung“ genug hatte, der Sprung nach Berlin.

Mit Bleistift in schnellen Strichen aufs Papier geworfen, kopiert und mit meist leuchtender Wasserfarbe nachkoloriert, ein wenig krakelig und unproportioniert: So kommen die Zeichnungen der 1966 geborenen Künstlerin daher, die sich erst seit kurzem mit Comic und Cartoons beschäftigt. „Ich kenn' mich in der Comic-Szene noch überhaupt nicht aus“, sagt Wrede, und manchmal merkt man das auch. Das Lettering ist unausgereift, und einiges bewegt sich im Entwurfsstadium. Doch die Fähigkeit, mit wenigen Strichen und Worten heiter-fiese Geschichten zu erzählen, gleicht diese Unsicherheiten bei weitem aus. Dabei treiben die Zeichnungen nicht nur mit Tieren ihr Unwesen, auch die zweibeinigen Zeitgenossen werden Opfer von Wredes lakonischem Witz.

Einer Figur sprießen Fliegenpilze aus Kopf und Oberkörper: „Das Pilzgericht im Hilton hatte ungeahnte Folgen.“ Eine andere liegt mit wirrem Blick und verdrehtem Fuß im Bett, und als man zum Abendessen ruft, lautet die Antwort: „Ich warte, daß die Atmung aussetzt.“ Eine dritte hängt kopfüber im Wohnzimmer, einen Revolver an der Schläfe. „Ernst, hast Du mein Valium gesehen“, heißt es in der Sprechblase: ein beiläufiges Grausen, von Wrede in wenigen Linien aufs Papier gebannt.

Arbeitet sie in der Malerei eher mit dick aufgetragenen Farbschichten, so reizt sie an den Zeichnungen genau das Gegenteil: „Die Arbeiten, die ich in der Malerei mache, die sind sehr pastos, sehr dick, sehr schwer, die dauern sehr lange, und die Comics sind Momentaufnahmen, bei der Malerei sieht man die Momente nicht mehr, höchstens noch den letzten.“ „Leichtigkeit“ spiele beim Zeichnen eine Rolle – und natürlich der Humor. „Es geht ums Lachen, um merkwürdige Geschichten“, sagt Wrede.

Auch um eine Neuentdeckung der Figürlichkeit: So wäre die bekiffte Katze, die im Cartoon einen Couchtisch abgab, für Wrede in der Malerei nicht denkbar. Daß der Comic der Populärkultur zugerechnet wird, macht ihr keine Probleme. Die geläufige Trennung von „ernster“ Malerei und „trivialem“ Cartoon entspricht eher ihren unterschiedlichen Ideen und Ansprüchen. Außerdem mache ihr das Zeichnen einfach Spaß und sorge für „eine euphorische Stimmung“.

Die bekiffte Katze – in der Malerei undenkbar

Wrede hofft, ihre Arbeiten an Zeitungen verkaufen zu können. An ein komplettes Buch, das zur Veröffentlichung bestimmt wäre, wagt sie sich im Augenblick nicht, da sie über einiges noch keine Klarheit hat. Vor allem bei längeren Bilderfolgen fehlt ihr die Erfahrung. Dennoch wünscht sie sich, daß über das Zeichnen „ein bißchen Geld ins Haus kommt“, daß sie „keine fiesen Nebenjobs mehr machen muß“. Denn „mit der Kunst ist ja nichts zu holen“. Ob mit Cartoons etwas zu holen ist, ist eine andere Frage. Aber wenn schon wenig Geld, so verdienen Wredes Zeichnungen wenigstens einen Platz in der Berliner Cartoonlandschaft. Christina Nord