Fußballfans sind ungeheuer vergeßlich

„Wir sind doch keine Flitzermannschaft“: Nach dem 3:2-Erfolg im UEFA-Pokal gegen Arsenal London möchte der Mönchengladbacher Trainer Bernd Krauss gerne in den Süden fahren  ■ Aus Köln Holger Jenrich

Vor wenigen Wochen noch haben sie ihn verlacht, als Fehleinkauf abgestempelt, zum Stolperkönig vom Niederrhein gekürt. Doch Fußballfans sind ungeheuer vergeßlich und gnadenlos opportunistisch obendrein. Am Mittwoch, er hatte gerade zwei Treffer beigesteuert zum 3:2 von Mönchengladbach über Arsenal London, mit dem die Borussia die zweite Runde des UEFA-Pokals erreichte, galten alle ihre Verleumdungen, alle ihre Schmährufe, alle ihre Demütigungen nicht mehr.

„Andrzej Juskowiak“, gellten die Lobpreisungen aus Gladbacher Fankehlen, die ansonsten allein König Effe und seinem Knappen Patrik Andersson vorbehalten sind, nach Spielschluß durch die grün-schwarze Kurve. Und der also Bejubelte genoß die ungewohnten Huldigungen weidlich. „Ich bin überglücklich“, diktierte der aus Griechenland geholte und aus Portugal verpflichtete Pole naßgeschwitzt in die Reporterblocks. Und nahm anschließend ein Bad in der Menge – die Finger zum üblichen „Victory“ gespreizt, den Körper geschmückt mit einem durchgeschwitzten Arsenal-Leibchen und beim Winken und Händeschütteln und Küßchen-in-die- Menge-Werfen assistiert vom barbusigen Martin Schneider.

Sein kurzes Beinkleid, wir haben es schließlich mit tugendhaftem Fußball auf Euroebene zu tun, hatte der Gladbacher Dauerläufer trotz Siegestaumel natürlich noch am Leib. „Wir sind doch keine Flitzermannschaft“, meinte denn auch Borussen-Coach Bernd Krauss in der Pressekonferenz, als die Frage, ob der neuerliche Erfolg über den britischen Tabellendritten möglicherweise der neuen schwarzen Trikotmode geschuldet sei, vom Gladbacher Pressesprecher mit dem Einwand „Wir hätten auch nackt spielen können“ gekontert wurde. Ein FKK-Kick wäre nach Drei-Punkte-Regel und Golden Goal zwar eine weitere Attraktion, die man der modernisierungsbeflissenen Funktionärsriege von UEFA wie FIFA einmal dringend ans Herz legen möchte. Doch die Trikotzupfereien, die sich die Brachialgrätscher von einst als mehr menschenschonende Manndeckungsvariante ausgeguckt haben, gehörten dann der Vergangenheit an. Und die schöne Hemdchentauschbörse nach Abpfiff auch.

Die „Black ist beautiful“-Garnitur der Gladbacher könnte sich, wenn's denn so weitergeht, zum Renner der diesjährigen Fußballmode entwickeln. Zum zweitenmal traten die Mönche nun in der an den 1960er-Pokalsieg gemahnenden schwarzen „Albert-Brülls- Gedächtnis-Kluft“ an – zum zweitenmal sprang ein Sieg dabei heraus. „Vielleicht gewinnt Borussia ja den Wettbewerb“, spielte Gästecoach Bob Rice, in Sachen des rechten Dressings wohl erfahrener als in denen der richtigen Taktik, nach Spielschluß den Propheten. Hätten Wright und Merson, Parlour und Helder nach zwischenzeitlicher 2:1-Führung der gut 20 Minuten reichlich konfusen Borussia jedoch noch ein drittes Ei ins Nest gelegt – das Sprüchlein von der passenden Gladbacher Trauerkleidung wäre wohl unvermeidlich gewesen.

Effe sei Dank, es ist uns erspart geblieben. Als nämlich seine Vasallen angeschlagen übers Feld irrten, als Arsenal Dampf machte und die Borussia mit Stadler für den waidwund getretenen Ersatz- Klinkert Fournier den Vertreter des Vertreters des Vorstoppers einzuwechseln und ausgerechnet gegen Arsenals Angriffs-As Ian Wright zu stellen gezwungen war, da grätschte und schoß und paßte und rannte der Gladbacher Kapitän derart aufopferungsvoll von kreuz nach quer, als wollte er sich seine üppige Jahresgage in einem einzigen Spiel verdienen. Eine Großchance ließ er noch aus, die zweite nicht mehr. Sein 2:2 brachte die verloren geglaubte Sicherheit zurück, sein Team wieder ins Spiel und manchen Block in der gemieteten Kölner Arena ob sieges- und alkoholschwangerer Fanchoräle ins Wanken. „We love Borussia, we do“, sangen die einen, „Tiger Effenberg“ die anderen. Geeinigt wurde sich letztlich auf das hämische „Seht ihr, Bayern – so wird das gemacht!“.

Ob Andrzej Juskowiak, der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig, nach seinem siegbringenden Flachschuß wenig später den Sinn der Gesänge überhaupt verstanden hat, sei einmal dahingestellt. Verstanden hat er sicher, daß sein Club die nächste Runde erreicht hat. Und wo er die zu spielen hofft, das weiß er auch: „Ich würde mich freuen, wenn wir das nächste Spiel in Polen haben würden.“ Ganz im Gegensatz zu Bernd Krauss, der – ansonsten mit dem Dahlin-Nachfolger rundherum zufrieden – die Reisepläne seines Mittelstürmers eigenmächtig korrigierte: „Es geht jetzt auf den Winter zu. Da wird's Zeit, daß wir mal in den Süden kommen ...“

Arsenal London: Seaman - Keown, Adams (75. Helder), Linighan (63. Parlour), Winterburn - Vieira, Bould, Platt, Merson - Hartson, Wright

Zuschauer: 34.000

Tore: 1:0 Juskowiak (23.), 1:1 Wright (42.), 1:2 Merson (50.), 2:2 Effenberg (75.), 3:2 Juskowiak (89.)

Borussia Mönchengladbach: Kamps - Paßlack, Fournier (51. Stadler), Andersson, Neun - Lupescu, Schneider, Effenberg, Nielsen (73. Wynhoff) - Juskowiak, Pettersson (61. Hochstätter)