"Möglichst nicht zurückblicken"

■ R.E.M., rockende Ökoladenanteilseigner und supererfolgreiche Alternative, wollen so bleiben, wie sie sind. Aber dürfen sie das auch - nach dem spektakulären 80-Millionen-Deal mit den Warner-Brüdern? Bassist

taz: 80 Millionen Dollar für fünf CDs – das sind Dimensionen, von denen selbst Superstars träumen. Sollte das neue Album nicht besser „New Adventures in Cash“ heißen?

Mike Mills: Geld hat mit unserer Musik überhaupt nichts zu tun.

Du machst Witze ...

Laß es mich mal so formulieren: Geld kommt nach der Musik. Aber wenn du 16 Jahre lang derart erfolgreich bist, wäre es dir völlig gleichgültig, dafür entsprechend bezahlt zu werden?

Wenn es so ist, warum habt ihr dann die 10-Millionen-Dollar- Offerte von Microsoft abgelehnt? Um nicht in einem Werbespot aufzutauchen?

Wir würden niemals einen Song für solche Zwecke hergeben, obwohl – und das muß ich zugeben – uns manche Firmen geradezu unglaublich viel Geld dafür bieten. Vor allem Microsoft hätten alles dafür bezahlt. Aber: wir haben eben schon genug Geld. Wofür brauchen wir also noch mehr, zumal von dieser Firma? Das würde in erster Linie die Integrität der Band zerstören.

Die Warner-Brüder sind auch nicht gerade independent.

Was den Warner-Deal betrifft, noch mal: Es ging uns dabei nicht primär ums Geld. Schließlich hätte uns auch jede andere Company nicht gerade wenig geboten. Alles, was wir wollten, war, weiterhin mit Leuten zu arbeiten, mit denen wir schon seit Jahren gut kooperieren.

Wäre der Aufbau eines eigenen Labels der Integrität nicht dienlicher gewesen?

Natürlich ist es eine schöne Vorstellung, mit so einem Entschluß das ganze Busineß durcheinanderzuwirbeln, aber dieser Schritt hätte auch bedeutet, daß wir uns mit allem möglichen, was nicht mit der Musik zu tun hat, hätten rumschlagen müssen. Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, aber ein eigenes Label zu führen, ist halt mit Sicherheit nicht immer sehr angenehm. Ich kenne genug Leute, die das versucht haben. Letztlich mußt du darin aber unglaublich viel Arbeit investieren, und die verwenden wir lieber für andere Dinge. Wir wollen Alben aufnehmen, und das so gut wie eben möglich.

Dafür setzt ihr euch jetzt dem Druck aus, pro Album mindestens acht Millionen Einheiten zu verkaufen. Alles andere würde bedeuten, daß Warner rote Zahlen mit euch schreibt ...

Mit diesem Vertrag gehen vor allem Warner ein großes Risiko ein. Es wird sicher schwer für sie, das ganze Geld wieder reinzukriegen. Es geht in diesem Zusammenhang aber auch um ihr Image – schließlich hätten sie wirklich sehr schlecht ausgesehen, wenn sie uns einfach so hätten gehen lassen. Letztlich machen wir das Label auch für andere Bands attraktiv, und das ist ein Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte.

Stimmt es, daß ihr nach Abschluß der letzten Tournee ernsthaft über die Auflösung der Gruppe nachgedacht habt?

Ich habe wirklich keine Ahnung, wer diese Gerüchte in die Welt gesetzt hat, aber wir waren es definitiv nicht. Natürlich werden wir älter, ich meine, wir sind inzwischen auch schon Ende 30, aber das letzte Album war so gut, daß es wirklich keinen Grund gibt, unsere Zusammenarbeit in Frage zu stellen. Wäre dieses Album schlecht ausgefallen, hätten wir sofort die Konsequenzen daraus gezogen, aber das ist eben nicht der Fall. Also machen wir weiter ...

„New Adventures in Hi-Fi“ orientiert sich an euren frühen Werken wie „Document“, „Reckoning“ oder auch „Automatic For The People“. Warum diese Eigenzitate?

Als Band sind wir darum bemüht, möglichst nicht zurückzublicken. Wenn aber dieselben vier Menschen seit so vielen Jahren zusammenspielen, dann gibt es immer wieder Echos aus der Vergangenheit. Es ist prinzipiell so, daß sich einige Merkmale, wie zum Beispiel Michael Stipes Gesang oder Peter Bucks Gitarre, niemals verändern werden. Das sind halt konstante Merkmale unseres Sounds, die ich in dieser Form sehr schätze. Egal, was wir machen: Irgendetwas aus der Vergangenheit wird immer zu erkennen sein. Vielleicht kann Madonna sich auf jedem Album neu erfinden, aber für uns macht das keinen Sinn. Ich mag uns so, wie wir sind.

U2 scheinen sich auch sehr zu mögen, verändern aber immer wieder ihr Modell.

Ja, U2 sind uns definitiv sehr ähnlich. Bono, Edge, Adam und Larry klingen immer, wie sie nun mal klingen, und trotzdem, das muß man anerkennen: sie sind sehr gut darin, neue Sachen auszuprobieren. Für uns war es zum Beispiel ein unglaublicher Spaß, ein Album wie „Automatic“ aufzunehmen. Damals hatten wir so lange mit elektrischen Instrumenten gearbeitet, daß wir uns fragten, ob wir in der Lage sind, über unseren eigenen Schatten zu springen. Die Antwort war ja.

„E-Bow The Letter“ ist eine Single, die für das Album weit weniger repräsentativ ist als zum Beispiel „The Wake-Up Bomb“.

Wenn du dieses Album hörst, dann ist der offensichtlichste Track „The Wake-Up Bomb“. Das wäre normalerweise die erste Single gewesen. Da wir das Stück aber schon so lange live gespielt haben, wollten wir es nicht auch noch auskoppeln. Außerdem bewegen wir uns in diesem Geschäft nicht nach den goldenen Regeln, die angeblich direkt an die Spitze führen, sondern waren schon immer daran interessiert, uns selbst und anderen Leuten zu zeigen, daß es mehrere Wege gibt.

Die kleine Verweigerung des Megasellers ...

Nun, es sagt doch was, wenn du eine Single veröffentlichst, die eigentlich keine ist. Schließlich klingt sie weder richtig poppig noch besonders eingängig und hat nicht einmal ein Hook im Refrain. Trotzdem ist es ein großartiger Song. Das Problem ist doch heute, daß einige Radioleute ihren Hörern partout nicht zutrauen, so etwas wie Geschmack zu haben. Die beste Single ist angeblich der direkteste Weg zum Konsumenten, und ich glaube, das ist einfach nicht wahr. Die Leute hören unsere Musik, weil sie die Songs mögen, und nicht, weil diese in ein bestimmtes Format passen.

Versteht ihr euch noch als politische Band?

Wir haben uns sicherlich etwas vom Image der politisierten Band entfernt. Es war einfach nötig, die Politik radikal von der Musik zu trennen. Jetzt ist es so, daß wir, wenn wir denn wirklich etwas Politisches zu sagen haben, das in erster Linie als Individuen tun. Wir treten nicht mehr an die Leute heran und sagen: „Hört zu, R.E.M. sagen dies oder das.“ Es ist mehr: „Mike Mills sagt, geh wählen.“ Und jeder weiß, in welche Richtung ich damit tendiere.

Euer Engagement für „Rock the Vote“ hat 1992 dazu beigetragen, amerikanische Jungwähler für Bill Clinton zu mobilisieren. Heute kürzt er Sozialhaushalte, bricht Wahlversprechen und spielt draußen genauso Weltpolizei wie seine Vorgänger.

Politiker verändern sich wie Chamäleons, das ist leider so. Obwohl Clinton immer noch der Mann ist, mit dem wir seinerzeit sympathisierten, kann ich einfach nicht verlangen, daß mir jede seiner Aktionen gefällt. Es ist, als wenn du einen Text schreibst: Du kannst damit nicht jeden Hörer befriedigen, es geht beim besten Willen nicht. Was das Weltpolizei- Spielen betrifft: Wenn die USA es nicht tun, wer dann? Die UN ist viel zu schwach, um irgend etwas zu bewirken.

Ist Clinton wirklich noch der Rock-'n'-Roll-Präsident, nachdem er jetzt sogar gesetzlich gegen das Rauchen angehen will?

Das Rauchen ist in Amerika schon lange umstritten. Es gibt sogar Orte, an denen du überhaupt nicht mehr zur Kippe greifen darfst, aber das ist es auch nicht, was er erreichen will. Ihm geht es vielmehr darum, Kinder davor zu schützen. Das ist seine große Message in diesem Wahlkampf. Schließlich versuchen amerikanische Zigarettenhersteller mit Werbeträgern wie Joe Camel – dem dummen Kamel mit der Sonnenbrille – vor allem Jugendliche zu ködern.

Und da muß die Regierung ran?

Ob es Aufgabe des Staates ist, in dieser Sache zu intervenieren, ist fraglich, aber eins ist ganz klar: Es ist eine einfache Strategie, um Bill Clinton noch populärer zu machen. Interview: Marcel Anders