Authentisch auf der Anklagebank

Gestern stand Konstantin Wecker vor Gericht, weil er 1995 mindestens 1.770 Gramm Kokain gekauft hat. Zuletzt mußte er ständig Konzerte geben, um seine Sucht zu finanzieren  ■ Aus München Felix Berth

Häme ist simpel an einem Tag wie diesem. Denn vieles, was Konstantin Wecker jemals gedichtet hat, kann nun gegen ihn verwendet werden. Wenn er von seinem Drogenentzug spricht und davon, daß er heute, nach einem halben Jahr ohne weißes Pulver, manchmal noch von „riesigen Bergen Kokain“ träumt, erinnert man sich an pathetische Gesänge. „Wer nicht genießt, wird ungenießbar“ hieß seine Erfolgsparole der frühen achziger Jahre, und „Genug ist nicht genug“ lautete sein vertontes Lebensprinzip.

Nun ist es allerdings nicht so, daß er diese Parolen gestern gegenüber dem Staatsanwalt wiederholte, der ihm vorrechnete, daß er allein 1995 mindestens 1.770 Gramm Kokain gekauft hat. Vielmehr erzählte Wecker ein bißchen brav und beifallheischend aus seiner Jugend: „Ich würde nicht sagen, daß ich ein Wunderkind war – aber ich war doch ausgesprochen begabt.“

Und man wollte ihn in diesem Moment an seine Aufrufe zum privaten Widerstand gegen die Staatsgewalt erinnern:

Doch wie immer sie dich

auch schuldig schrein,

nur du hast das Recht,

dein Richter zu sein.

Aber bald verliert man im Gerichtssaal des Münchner Landgerichts die Distanz zu diesem Mann und seinen Sprüchen. Anfangs wohl eher noch aus Mitleid – denn da sitzt ein grauhaariger, fahler, unsicherer Angeklagter, der jeden Blickkontakt zu den dreißig Journalisten im vollen Saal meidet und sich mit den Fingerkuppen an der Vorderkante des Tisches festklammert, damit seine Hände die Nervosität nicht zeigen.

Doch spätestens, als Konstantin Wecker seine Lebens- und Drogengeschichte erzählt, stellt man verblüfft fest: Der Mann macht selbst die Anklagebank noch zu seiner Bühne.

So klingt seine Stimme bereits nach wenigen Minuten präsent, ganz wie in seinen Konzerten: Voll, satt, ganz leicht gepreßt. Immer liegt ein leicht bayerischer Klang in seinen Sätzen – aber gerade nur soviel, daß man hört: Der Mann hat seinen Dialekt im Griff. Und er hat Horizont, Bildung, Vorbilder: „Schon in meiner Jugend waren Trakl und Benn meine Idole. Sogar bevor ich wußte, daß sie Kokainisten waren.“ Verführt zur Droge habe ihn keiner, sagt Wecker, „außer vielleicht den toten Dichtern“. Manchmal klingt es schwülstig, was Wecker dem Richter erzählt, manchmal auch kitschig – aber fast immer schafft er es, so zu wirken, wie ihn die Fans lieben: authentisch.

Er stellt sich selbst in Frage, ist verbal so gnadenlos zu seiner Vergangenheit, wie er im letzten Jahr gnadenlos zu seinem Körper war. „Man belügt sich so unendlich“, sagt er über seine Versuche, sich die Sucht nicht einzugestehen.

So habe er nicht einmal wahrhaben wollen, daß er aus Kokain und Natron durch Backen Crack herstellte: „Ich hab mich daran geklammert, daß man Crack normalerweise mit Backpulver herstellt – nicht mit Natron, was aber in Wirklichkeit das gleiche ist.“

Am Ende des Jahres 1995, kurz bevor ihn am 30. November die Münchner Polizei festnahm, habe er sich überhaupt nicht mehr aus dem Haus getraut, sagt Wecker. Körperlich sei er am Ende gewesen. Zwar mußte er ständig Konzerte geben, um die Sucht zu finanzieren – doch er habe zeitweise alle vier Minuten eine Crackpfeife gebraucht.

Je länger Konstantin Wecker an diesem Vormittag im Münchner Landgericht redet, um so gelassener wirkt er. Der Konkurs seiner Firma wird ebenso zur kleinen, wohltönend erzählten Geschichte wie die Story vom Pianisten, der ihn während eines Konzerts „mit einem Sinuston“ aufwecken wollte, weil der Süchtige Wecker einfach weggedämmert war – selbstverständlich, wie er sagt, ohne das Klavierspiel zu unterbrechen.

Das Urteil wurde für den späten Nachmittag erwartet.