Filmfest Hamburg: Weibliche Sinnlichkeit als Umsturzversuch
■ Frauen in Australien - die Kehrseite eines kollektiven Glücksversprechens im Film
Gestern abend wurde das Filmfest in den Zeise-Hallen in Anwesenheit von vielen berühmten und berühmt-werdenden Regisseuren und Schauspielern eröffnet. Da Klatsch und Tratsch nicht unser vordringliches Metier ist, setzen wir lieber die Reihe über das Programm fort. Heute: der australische Film.
Das weite „Down Under“, durch das der Tuntenbus in Priscilla, Queen Of The Desert noch andächtig tuckelte, ist in den Australien-Filmen auf dem Filmfest eng geworden. Ob in Fistful Of Flies, in dem eine Kleinfamilie die lustfrohe Tochter auf den Steckbrief einer provinziellen Hexenjagd setzt, oder in Love And Other Catastrophes, in dem die Protagonisten ihrem Glück mit intellektueller Versenkung hinterhersehnen, und schließlich in Lilians Story, in dem die Kamera kühl die Schäbigkeit australischer Substädte einfängt, das Freiheitsversprechen liegt überall an der Kandare.
Die australischen Produktionen ähneln dabei den US-Filmen der 70er Jahre. Landschaft und Vorgartensiedlung dienten hier bestenfalls zum Seelenpanorama eines Landes, das es nicht fertig gebracht hat, das kollektive Glücks-Versprechen einzulösen. Zwar kam die australische Vision von Freiheit und Wohlstand nie so vollmundig daher wie die amerikanische Variante, doch ihre Desillusionierung wirkt deswegen nicht eine Spur sanfter und trifft vor allem eine Gruppe besonders hart, die Frauen.
So hat sich die Hauptfigur in Lilian's Story (beeindruckend gespielt von Ruth Crackwell) über alle Einschnürungen eines lustfeindlichen Moralkorsetts hinweg in eine übersichtliche, elisabethanische Weltordnung gerettet. Ihre Befindlichkeiten bringt Lilian nur noch mit dem Verve berühmter Shakespeare-Verse zum Ausdruck. Das Stigma der verrückten Außenseiterin trägt sie zunehmend wie eine Auszeichnung in einer Gesellschaft, der schon die bloße Äußerung von weiblicher Individualität fremd ist.
Und wenn Alice in Love And Other Catastrophes in ihrer Diplomarbeit ausgerechnet Doris Day, den Inbegriff rosa-verpackter amerikanischer Prüderie, als feministische Kriegerin zu veredeln sucht, rückt die Komödie von Emma-Kate Croghan auf amüsante Weise die Ratlosigkeit des intellektuellen australischen Nachwuchses hinsichtlich einer eigenen feministischen Kulturgeschichtsschreibung ins Blickfeld.
In Fistful Of Flies von Monica Pellizarri stemmt sich Maria schließlich mit allem Trotz Pubertierender und dem ungebrochenen Willen zur selbstbestimmten Lust gegen die christlichen Züchtigungsrituale ihrer Eltern, die sich sogar über eine Klitorisamputation schlau machen. In einem Elternhaus, in dem ein Klaps auf den Hausfrauenhintern schon die ganze Leidenschaft ist, kommt Marias Neugier auf die eigene Sinnlichkeit einem Umsturz gleich. Maria beschließt, fortan Mars zu sein. Und das ist nicht nur eine Hommage an den Kriegsgott, sondern auch an sein funkelndes Pendant im Himmel über Australien, von dem aus gesehen der Kontinent wieder zu dem schönen, freien Land werden mag, als das es sein eigener Mythos so gerne feiert.
Birgit Glombitza
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