Wand und Boden
: Stereoanlagen zu Töpferscheiben

■ Kunst in Berlin jetzt: Currall und Bindley, Wood, Erkmen, Kruse

Es pfeift, heult und gewittert. Ein Sturm zieht über den Friedhof, den Alan Currall für „Relocated Graveyard“ 24 Minuten lang mit starrer Kamera gefilmt hat. Ab und zu schlurfen ältere Witwen vorbei, mal zieht der Gärtner sein Wägelchen durchs Bild. Trotzdem befürchtet man das Schlimmste, denn Currall versteht es, seinen Dokumentar-Minimalismus in einer hitchcockartigen Atmosphäre zu inszenieren. Jeden Moment erwartet man den Maniac mit der Motorsäge, eine Invasion Außerirdischer wie in „X-Files“ oder ähnlich mysteriöse Ereignisse. Davon allerdings handeln die anderen Videoarbeiten des 34jährigen Schotten, die wechselnd in der Galerie Rupert Goldsworthy gezeigt werden.

Wie Bruce Nauman spielt auch Currall hermetische Situationen durch, leckt Kreide wie ausgeschüttete Milch von einer Tafel oder stopft eine schmucklose Voodoopuppe mit Wolle. Dann wieder sieht man ihn beim Versuch, via Videomonitor ein Wasserglas zu hypnotisieren, bis es zittert. Der Effekt läßt sich zwar nachvollziehen, aber die Aktion bleibt rätselhaft. Selbst wenn Currall einem Mikrochip in „Word Processing“ das Schreibprogramm erklärt, steckt hinter dem Kalauer noch ein unentwirrbares Gestrüpp kleiner Gesten.

Dagegen sind die Fotos von Amanda Bindley in jeder Beziehung durchschaubar: Auf drei Porträts werden mit den Händen katholische Beschwörungsrituale zwischen Metal-Gruß und Gebet vorgeführt. Eine zweite Serie besteht aus 35 Bildern von Meereswellen, die Bindley in 60 Sekunden festgehalten hat – neun Zentimeter über dem Strand, so niedrig hängen sie auch in der Galerie. Ebenfalls auf Bodenhöhe hat Currall gegenüber „Bookends“ mit Gel an die Wand gesprüht. Statt romantischer Natur gibt es hier Jesus und Marx in Abwandlung des Leichentuchs auf weißem Grund. Zugleich sind die Gesichter so flüssig aufgetragen, als hätte ein Hund sie in die Ecke gepinkelt.

Bis 12. 10, Do./Fr. 14-19, Sa. 12-15 Uhr; Brunnenstraße 44

Verwundert bleibt man vor den hybriden Plastiktöpfen stehen, die Ayse Erkmen in einer geräumigen Schaufenstervitrine der Galeries Lafayette installiert hat. Die sechs giftgrünen Teile auf mattgrau lackierten Podesten sind als „objects of mine“ ausgewiesen und kaum von irgendeinem Nutzen. Eher schon erinnern sie an den rotierenden Mussolini- Kopf, doch Erkmen interessiert sich für das Verhältnis von Dynamik, Form und Futurismus nur am Rande. Ihr Set geht von der Wechselwirkung zwischen künstlerischer Gestaltung und aktuellem Warendesign aus – Techno- oder Tupperparty?

Die einheitliche Produktlinie könnte am Computer entworfen sein, ohne dabei Anhaltspunkte über ihre Funktion zu liefern. Im Gegenteil: Je undurchsichtiger der Verwendungszweck, umso stimmiger das System. Was von den Waren übrigbleibt, sind reine Prototypen. Ein Schriftzug oberhalb der Glasfront treibt den Antagonismus noch weiter ins Absurde. Die Wortreihe „Mine/ Yours/His/Hers/Yours/Theirs“ signalisiert Besitzverhältnisse, die man mit den fremden Objekten nur schwerlich in Verbindung bringen kann. Gerade der soziale Impetus, der sich in den klaren Paarbildungen auftut, läuft rückgekoppelt an die Produkte ins Leere. Understatement als Marketingfaktor: In einem Kaufhaus, wo die meisten Kunden ohnehin mehr gucken als kaufen, bekommt das sorgfältige Kunst-Arrangement eine allzu ironische Note.

Bis Ende Oktober, Friedrichstraße Ecke Französische Straße

Der diesjährige Brite zu Gast beim DAAD heißt Craig Wood. Nach Damien Hirst und Richard Wentworth ist er der dritte Stipendiat in Folge, der vom Londoner Goldsmith College kommt. Entsprechend sind seine Objekte recht brachial aus einfachen Gerätschaften für den Hausgebrauch zusammengesetzt. Wood läßt einen elektrischen Quirl in zerrupften Tonbändern rühren, schmelzt Schallplatten mit dem Bügeleisen oder in der Mikrowelle um, und benutzt die Stereoanlage als Töpferscheibe. Dabei wird jeder Gegenstand nach dem Eingriff sehr skulptural auf kleinen Trägerärmchen an der Wand präsentiert oder als endlose Groschenkette auf dem Sockel plaziert.

Dieses Verhältnis zwischen kontrollierter Gewalt und ästhetischer Ordnung paßt ziemlich klar in die Reihe seiner Vorgänger. Zugleich spürt man bei Wood ein Übermaß an Statik, die allein vom Arrangement der Dinge ausgeht. Während Hirsts theatralische Inszenierungen (die Schmetterlingskäfige etwa) stets auf Schock und Pathos abzielen, fallen bei Wood die Zusammenhänge zwischen den Zeichen rasch wieder auseinander. Die Engführung von Schmirgelapparat, Diepgen-Konterfei und Kopfkissen wirkt jedenfalls viel trockener, als man sich frei nach Lautréamont ihre Begegnung auf dem Seziertisch des Bildhauers vorgestellt hatte.

Bis 27. 10., täglich 12.30-19 Uhr; Kurfürstenstraße 58

Man sieht nur Licht, und kaum die Berge. Wie schon zur Ausstellung von Ueli Etter ist die Galerie Zwinger für Käthe Kruses „Le Sexe Rouge“ komplett bearbeitet worden. Ein all-over in Alpina-Weiß: Wände, Fenster, Nischen, alles Ton in Ton. In knapp zwei Meter Höhe zieht sich ein Panorama aus bemaltem Glas durch den nahezu streng quadratischen Raum. Für die Türrahmen wurden einzelne Scheiben zurechtgeschnitten, den Aufgang ins Büro verschließt ein Gazevorhang. Ebenso konsequent und widerborstig ist die auf allen Elementen ausgesparte Linie, deren zittrigem Verlauf man folgen muß. Hier eine leicht wacklige Erhebung, dort eine vertrackte Formation aus Kurven. Es ist die Sicht auf eine Bergkette nahe bei Montreux, den die Künstlerin minutiös nachgezeichnet hat. Nur die Kuppen zählen, der Rest ist abstrakt eingeweißt. Die Arbeit hat die Form einer sich mit jedem Zentimeter wandelnden Arabeske: Das Gesicht der Natur, die nicht so einfach in den Griff zu bekommen ist.

Im hinteren Raum sind gleich zwei zusätzliche Modelle für die großflächige Installation aufgebaut. Ein weißer Kubus gibt die Galeriesituation wieder, ein Fotostreifen zeigt den realen Verlauf der schweizerischen Berglandschaft. Wie schnell man in den Alpen an die Grenzen der Darstellung kommt, läßt sich bereits bei Goethe, Haller oder Bodmer nachlesen. Kruse hat aus der erhabenen Sehnsucht des 19. Jahrhunderts ein nonchalantes Spurensucher-Projekt gemacht, das mit den Blicken wandert. Zur Eröffnung sang sie jeden einzelnen Namen des zerklüfteten Massivs. Der „Sexe Rouge“ ist über 2.100 Meter hoch und heißt übrigens so, weil er danach aussieht.

Bis 25. 10., Di.-Fr. 14-19, Sa. 11-14 Uhr, Dresdener Sraße 125 Harald Fricke