"Die Wahrheit benutzen"

■ Sie wird kritisiert, weil in ihrem Film "The Watermelon Woman" ein schwarz-weißes Paar spielt. Doch das ist ihr egal. Ein Gespräch mit Cheryl Dunye

Am kommenden Dienstag beginnt das 5. Lesben Film Festival. Es findet in diesem Jahr in der Camera im Tacheles statt, gezeigt werden internationale Produktionen in den Sparten Kurzfilm, Dokumentar- und Spielfilm. Das Festival ist nur für Frauen, ein ausführlicher Bericht zum Programm folgt. Einer der Höhepunkte ist die Hommage an Cheryl Dunye, die für ihren Film „The Watermelon Woman“ auf der letzten Berlinale den Teddy gewann. Hauptfigur in „The Watermelon Woman“, bei dem Dunye aktuell gedrehte Szenen mit Archivmaterial kombinierte, ist eine schwarze Schauspielerin aus den Dreißiger Jahren, die von der jungen Filmemacherin Cheryl, dargestellt von der Regisseurin selbst, wiederentdeckt wird. Dunye, 1966 in Monrovia/Liberia geboren, lebt derzeit in Philadelphia/USA.

taz: Du willst die Leute mit deinem Film zum Lachen bringen, aber so, wie du Camille Paglia oder die Frau im Lesbenarchiv porträtierst, ist es ja schon klischeehaft. Ist das eine Kritik an einer bestimmten Art von Feminismus?

Cheryl Dunye: Richtig. Wir sehen diese Art von Personen so oft und auf eine dermaßen politische Weise agieren, daß es für unsere Generation von Lesben unter 30 einfach nur abtörnend ist. Wir wollen keine mehr schimpfen und heulen sehen. Wir wollen etwas anderes machen. Also habe ich mir eine andere Herangehensweise ausgedacht, die die Aufmerksamkeit auf das Thema an sich lenkt und es zugänglich macht, so daß wir damit weiterkommen.

Du willst ein Kapitel Schwarze Filmgeschichte schreiben und Schwarze Frauen- oder Lesbenbewegung darstellen? Was sagt die Community zu Deinen schwarz- weißen Pärchen?

Weiße Lesben finden den Film toll und ich hatte noch keine aufführung vor ausschließlich schwarzem Publikum. Aber ich habe das Feedback von ein paar schwarzen Lesben gehört, die den Film gesehen haben und die es sehr gestört hat, daß ich sozusagen den ersten schwarzen Lesbenfilm drehe und ausgerechnet eine Weiße darin sein muß. Aber was soll's, es ist schließlich mein Film und meine Realität. Ich lebe nicht auf dieser schwarzen, separatistischen Insel. Ich bin in einem Vorort aufgewachsen, wo es außer Schwarzen auch Weiße, Chinesen und alle möglichen Ethnien und unterschiedlichen Klassen gab. Keine Gruppe ist eine Insel. Ich denke, das ist das Problem mit dieser Art von Diskussionen in der afrozentristischen lesbischen Community. Es geht um diesen Essentialismus. Eine Ideologie für alle, wir passen nicht alle in diese Ideologie. Meine Strategie ist, all diese Unterschiede wieder auf den Tisch zu bringen, so daß wir darüber reden können. Ich will nichts anderes befürworten, als daß wir diese Diskussionen weiterentwickeln sollten. Ich weiß nicht, wie das Ergebnis aussehen sollte, aber ich weiß, daß wir in dieser Diskussion weiterkommen müssen.

Warum hast du eine Mischung aus Spiel- und Pseudodokumentarfilm gewählt? Es ist ja alles fiktiv.

Nun, die Leute, das Publikum, besonders in den USA, glauben alles, was sie als Dokumentation präsentiert bekommen: Die Abendnachrichten, was sie in der Zeitung lesen. Wir glauben eher das, als wenn unsere Großmutter sagt: „Ich war Tänzerin in den dreißiger Jahren.“ Wenn es in den Nachrichten heißen würde, es habe in den Dreißigern keine Tänzerinnen gegeben, würden die jungen Leute ihr das nicht glauben. Also müssen wir die Wahrheit benutzen, uns etwas auszudenken, damit sie wieder glaubhaft wird. Ich benutze Dokumentar- und Spielfilm, um über die Realität zu reden. Das war einfach meine Herangehensweise.

In deinem Film kommen Ausschnitte aus alten Filmen vor. Was sind diese „race films“, die du da zeigst?

In den zwanziger und dreißiger Jahren, besonders nach diesem Film „Birth of a Nation“, in dem weiße Schauspieler Schwarze spielten und auf sehr negative Art und Weise darstellten, beschlossen Schwarze, ihr eigenes Selbstbild zu schaffen. Einer von ihnen war der Regisseur Oscar Michaux, der sagte: „Ich werde wegen des Rassismus Filme mit ausschließlich Schwarzen über schwarze Inhalte machen und alles wird in einer schwarzen Welt spielen.“ Dann hat Hollywood mitbekommen, daß da Geld zu machen ist und hat auch damit angefangen. So ungefähr von 1920 bis 1940 gab es diese Filme, die angeblich nur für Schwarze gemacht waren. Sie wurden „race films“ genannt. Sie ließen schwarze Schauspieler tanzen und sie ihr „Schwarzes Leben“ haben. Manchmal wurden diese Filme von Schwarzen produziert, aber meistens von Weißen. Es gab aber ein paar Pioniere wie Oscar Michaux und andere, die sowas machen wie ich, d. h. selbst und unabhängig, wie auch immer du es nennst, zu produzieren.

Welche Bedeutung haben sie in deinem Film?

Der Ausschnitt, in dem eine Frau eine andere Schwarze ohrfeigt, die stolz darauf ist, schwarz zu sein, ist ein Ausschnitt aus einem „race film“. Das Thema innerhalb der schwarzen Community war damals das „Passing“, weißt du, so wie „als weiß durchgehen“: Vorzugeben, weiß zu sein und niemand bemerkt etwas, aber es ist ein Drama, weil es innerlich als Sünde empfunden wird, moralisch falsch.

Wie bist du auf das Thema gekommen, daß schwarze Schauspielerinnen nicht im Filmabspann namentlich genannt werden und damit für die Filmgeschichte verloren sind?

Als ich mein masters degree an der Uni bekommen habe und in die Lehre wollte, mußte ich ein Seminar konzipieren, das ich gerne geben würde. Also habe ich etwas über afroamerikanische Frauen im Film angeboten. Von den „Mammies“, diesen negativen Kindermädchenfiguren und den Schauspielerinnen vor der Kamera bis zu den „Macherinnen“ dahinter wie mir selbst, Michelle Parkerson und vielen anderen.

Hat dich das auf die Idee gebracht, den Film zu machen?

Das Seminar zusammen mit einem amerikanischen Film, der „The Watermelon Man“ heißt. Da kommt eine Figur wie Archie Buncker von „All in the family“ vor, ein bigotter Rassist, der ein unwahrscheinlich lustiges Leben führt und eines Tages aufwacht – und schwarz ist. Es ist ein Film aus den Siebzigern und der Humor ist völlig überzogen. Seine Welt ist plötzlich auf den Kopf gestellt, er badet in Milch, um wieder weiß zu werden, aber es funktioniert nicht. Also muß er damit fertig werden. Ich habe das gesehen und dachte, aus den beiden Elementen mache ich einen Film.

Hast du diesen Film auch gemacht, um deine eigene Geschichte als schwarze lesbische Filmemacherin zu dokumentieren?

Oh ja, es ist mein Film. Er ist aus meiner Arbeit heraus entstanden. Es ist nicht mein erstes Werk. Ich habe 1994 „Greetings from Africa“ gemacht, der letztes Jahr auf der Berlinale gelaufen ist. Ich mache seit fünf oder sechs Jahren Videos. Ich wußte, daß dieser Film der perfekte Rahmen für meine Geschichte ist.

Hast du Filmemacherinnen als Vorbild? Ich nehme an, als schwarze lesbische Regisseurin kannst Du nicht gerade auf eine lange Tradition zurückgreifen.

Da gibt's nicht viele. Ich versuche mit vielen anderen lesbischen Filmemacherinnen Kontakt zu halten, aber die einzige, mit der ich wirklich eine Verbindung haben möchte, ist Michelle Parkerson, die „A Litany for Survival The Life and Works of Audre Lorde“ und viele andere Sachen gemacht hat. Ich habe sie mal getroffen, als ich gerade angefangen hatte, zu studieren und sie sagte: „Mach es einfach.“ Es gibt keine Vorschriften und keine Mentoren. Es geht darum, aktiv zu werden, einen eigenen Film zu machen. Wir kämpfen noch, denn jedesmal, wenn wir einen Film fertig haben, fängt alles von vorne an: Geld zusammenbekommen, das Skript schreiben, darauf hinarbeiten, von anderen beachtet zu werden. Ich könnte mich mitten in New York City auf der Straße anzünden und hätte eine Minuten in den News, dann müßte ich mich noch mal verbrennen, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Es ist alles Propaganda-Inszenierung. Interview: Astrid Ehring