"Priester bin ich nicht als Frau"

■ Mechtild Oltmann-Wendenburg, Priesterin der anthroposophisch orientierten "Christengemeinschaft", über geistige Freiheit, Feminismus und Frauen am Altar

taz: Frau Oltmann-Wendenburg, Sie sind seit 25 Jahren Priesterin. Was ist das für ein Beruf?

Mechtild Oltmann-Wendenburg: Ein großartiger Beruf. Dabei geht es vor allem um drei Dinge. Es gibt den Kultus, wo ich das Ritual zelebriere. Das hat eine gewisse Strenge und Verbindlichkeit. Dann habe ich eine ganz ausgebreitete Seelsorge. Und ich glühe für die Verkündigung, das heißt, ich halte Vorträge und Predigten. Und diese Gebiete befruchten sich immer wieder gegenseitig. Ich könnte nicht predigen, wenn ich nicht die Seelsorge hätte, also den lebendigen Bezug zum Menschen. Und wenn ich mich nicht fortwährend mit geistigen Dingen beschäftigen würde und forschen könnte, würde meine Seelsorge verarmen.

Sind Frauen die besseren Seelsorgerinnen?

Solche Pauschalurteile finde ich ganz schlimm. Ich könnte das nur insofern bejahen, als Frauen aus ihrer Natur heraus eine Qualität haben, die bei der Seelsorge sehr willkommen ist, nämlich zuhören zu können. Im übrigen liegt mir sehr daran zu sagen: Priester bin ich nicht als Frau.

Was heißt das?

Ich unterscheide sehr strikte zwischen Situationen, wo ich ein privates Gespräch führe, Kinder unterrichte, Auto fahre oder meine Wäsche wasche. Da kann ich als Frau reden und muß niemanden darstellen. Und zwischen dem Moment, wo ich meine Gewänder anziehe und den Kultus zelebriere. Dann versuche ich, die Tatsache, daß ich Frau bin, abzustreifen und mir etwas Überpersönliches anzueignen. Da geht es um etwas, wo das Männliche und Weibliche keine Rolle spielt, nämlich um das Geistige. Das ist über Mann und Frau.

Deshalb nennen Sie sich Priester, nicht Priesterin?

Ja. Neulich habe ich ein Buch gelesen, da haben Frauen aus der ehemaligen DDR erklärt, daß sie die Endung „-in“ ablehnen, weil das für sie eigentlich eine Schwächereaktion ist. Sie bringt all das nach außen, was innerlich nicht erfüllt ist. Für mich sind in der ganzen Frauenbewegung bestimmte Übertreibungen zu sehen, die nicht mehr nötig sind, wenn die Dinge zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Aber ich kann auch „Priesterin“ ertragen.

Ihre Kollegen sind überwiegend Männer. Gibt es da nie Diskriminierung?

Die gibt es auch. Wir sind da sicher alle miteinander noch ziemlich am Anfang. Aber so ein Anfang hat auch etwas Begeisterndes. Für mich ist wichtig, daß man als Frau zum vollen Geistesleben zugelassen ist. Das gibt es im katholischen Priestertum nicht. Da ist eine neue Freiheit möglich, die ich begeisternd finde. Im übrigen ist in jedem Menschen das Männliche und das Weibliche anzutreffen. Ich glaube, daß Frauen wie Männer das jeweils andere in sich ergreifen können, also Frauen das Männliche in sich und umgekehrt. Dadurch wird eine andere Selbstverwirklichung möglich.

Was ist denn das Weibliche oder das Männliche?

Die Frau wurde immer schon als offen für das Spirituelle angesehen. Aber gerade deshalb war sie auch gefährdet. Weil die Bewußtseinskräfte in ihr noch nicht gegeben waren, um das, was sie wahrnahm, auch denkend zu beurteilen.

Welche Frauen meinen Sie?

Die Pythia z.B., die im antiken Delphi Orakel verkündete. Sie hatte immer einen männlichen Priester an ihrer Seite, der ihre Schauungen gedeutet hat. Jetzt scheint die Zeit gekommen, wo die Frau – für das Spirituelle offen – auch die in ihr veranlagte männliche Wirklichkeit, ihre Gedankenkräfte schulen und stärken kann, so daß sie keinen Interpreten mehr braucht.

Dann gehen Sie davon aus, daß Intellekt etwas Männliches ist?

Eine ganz bestimmte Art von geistigen Kräften im Menschen würde ich tatsächlich als männlich bezeichnen. Aber das heißt nicht, daß Frauen keinen Anteil daran haben können.

Männer haben ihren Intellekt von Natur aus, Frauen müssen ihn erst erwerben?

Ja, weil die Bildung von Frauen nicht stattgefunden hat. Aber jetzt sind diese Eigenschaften aus den Frauen hervorgetreten und haben sich ihre Rechte verschafft. Das weibliche Denken ist im übrigen anders als das männliche.

Wie denn anders?

Viel bildhafter, viel mehr mit dem Lebendigen verbunden, viel lebenspraktischer. Wenn Frauen heute bis in akademische Berufe vorrücken, dann sollte das kein Prozeß der Vermännlichung sein, sondern einer von neuer geistiger Qualität. In der ganzen Frauenbewegung hat man am Anfang viel zu sehr danach gestrebt, seinen Mann zu stehen, statt mit diesen Kräften wirklich etwas Neues hervorzubringen.

Die Befreiung der Frau sehen Sie vor allem auf geistiger Ebene. Was halten Sie von den klassischen Forderungen der Feministinnen im Bereich Sexualität, Verhütung, Abtreibung?

Da geht es darum, vom Gattungsartigen wieder zum Individuellen zu kommen.

Verstehe ich nicht.

Ich finde es nicht gut, wenn man das Bewußtsein zu sehr auf „die Frauenfrage“ legt oder sich unter Frauen zusammentut, weil das nicht das Individuelle ist.

Darf eine Frau abtreiben?

Frauen müssen sich in diesem Bereich individuell entscheiden können.

Also befürworten Sie eine Liberalisierung der aktuellen Abtreibungsgesetze?

Das habe ich nicht gesagt. Das heißt nur, daß das Recht, selbst zu entscheiden, nicht eingeschränkt werden darf. Ich habe da keine kategorische Meinung. Es kommt immer auf gründliche Hilfe und Aufklärung über alle weitreichenden Folgen an.

Wenn die Befreiung der Frau nicht von Feministinnen kommt, woher dann?

Ich habe mich jahrelang gefragt, ob so etwas wie Emanzipation der Frau heranreifen kann in der Menschheitsentwicklung. Daß Männliches und Weibliches in jedem ist, ist für mich auch eine Frage der wiederholten Erdenleben. Vielleicht kennt man ja schon beides, hat in seinen früheren Leben schon mehrere männliche und weibliche Daseinsformen durchlaufen.

Dann wäre der Feminismus überflüssig?

Nein, die beiden Dinge schließen sich nicht aus.

Interview: Constanze v. Bullion