Es bleibt die Brechbohne

■ Ein Jahrzehnt taz zwischen Vogelpark Walsrode und dem Bremer Werftenverbund

Eine Zeitung, die die allererste Ausgabe mit einem Artikel über falsch etikettierte Brechbohnen aufmacht und dann doch zehn Jahre alt wird, was soll der noch passieren? So war es am 1.10.1986, als die taz zum allerersten Mal als täglich erscheinende Bremer Lokalzeitung auf den Markt kam. Jungredakteur Oliver Wegner hatte seine Nase ganz tief in die Regale bei Comet gesteckt und festgestellt: Wo „Gutes aus Ostfriesland“ draufstand, waren polnische Becquerelbomben drin. So weit, so skandalös. Und heute? Nix mehr. Dosen, Bohnen, Becquerel bei Comet war heute alles in Ordnung im Regal. Das Thema hat sich einstweilen erledigt.

Wenn die Halbwertzeit radioaktiver Stoffe keine bleibenden Werte liefert, was machen dann die anderen Themen, die die taz in der ersten Woche beschäftigten? Sie waren (fast) alle medienbeständiger als die Folgen der „Jahrtausendkatastrophe“ in der Ukraine. Schon damals führte die Unterauslastung einer Müllverbrennungsanlage zu Aufmachern und Löchern im Gebührenhaushalt; stellte sich die Alternative Naturschutz oder Gewerbegebiet, damals noch unter der Überschrift „Reiher oder SPD-Beton“; hieß es „Experten streiten sich um Molanwerk“; war der Bremer Haushalt notleidend, die Einsparungen im Sozialbereich grausam; die heutige Gewoba hieß noch Neue Heimat und sollte privatisiert werden.

Und Werner Lenz sagte wörtlich: „Bei unseren bisher erfolgreichen Bemühungen um eine Neustrukturierung und Konsolidierung der Schiffbauunternehmen im Lande Bremen sind wir durch unverantwortliche Machenschaften kurz vor der Ziellinie aufgehalten worden. Aber das ist kein Grund zur Resignation.“ Währenddessen beschwerten sich die Beschäftigten der Seebeck-Werft in einem Brief an die Medien: „Die schlechte Presse gefährdet unsere Arbeitsplätze.“ Ein klassischer Bremer Refrain.

Und war die Presse auch schlecht, so waren die Löhne doch gut, zumindest die Steigerungsraten derselben. Und dennoch: „Nur 4,2 Prozent mehr – im Metalltarifkonflikt einigten sich Arbeitgeber und IG-Metall“, wußten die hungerleidnden taz'ler solidarisch zu berichten. Ein vergnatzter Klöckner-Betriebrat Dieter Reinken kommentierte den Abschluß am 1. Oktober: „Verdammt niedrig.“

In der gleichen, ersten taz-Ausgabe kümmerten sich andere taz-Autoren schon ausgiebig um berufliche Alternativen. Schrieb doch der spätere „buten&binnen“-Mitarbeiter Autor Klaus Schloesser unter der Überschrift „Ich geh zum Kabarett“ seinen ersten taz-Satz: „Also, wir fangen hier ja gerade erst an, aber wenn das einmal vorbei ist mit der Zeitungsschreiberei, weil man alles wichtige eh durchs Satellitenfernsehen ins Haus kriegt, dann geh ich auch zum Fernsehen.“

Sage einer, nichts sei so alt, wie die Zeitung von gestern. Im Gegenteil. Die Nachrichten, sie verändern sich, die Themen bleiben. Und das ist so sicher, wie Freimarkt und Sechstagerennen. Oder der Vogelpark Walsrode: Denn die taz-Bremen war nie eine ausschließlich bremische Zeitung, sie kümmerte sich immer auch um Niedersächsisches und Internationales.

So hieß es im ersten „Hit des Tages“ 1986: „Der Vogelpark Walsrode und die vietnamesische Regierung haben am Montag einen Vertrag über die ,Zusammenarbeit auf der Ebene des Naturschutzes' unterzeichnet.“ Nachgefragt, was ist daraus geworden? „Wir haben ein ornithologisches Forschungs-, Beobachtungs- und Informationszentrum errichtet“, sagt Vogelparkdirektor Hans Geiger zehn Jahre danach. 500.000 Mark investiert, vier Schleusen gebaut, Wasserstand im Mekong reguliert, und der seltene Sarus-Kranich kommt zum Brüten.

Zehn Jahre taz-Bremen – sage einer, daß es nicht vorangegangen ist. In Vietnam und beim Vogelschutz.

Holger Bruns-Kösters, taz-Redakteur von 1986 bis 1991, dann Radio Bremen Hörfunk und Fernsehen, jetzt Sprecher von Multisenatorin Tine Wischer