Echte Gespenster Von Thomas Gsella

Heute möchte ich, wie angekündigt, meine Traumerlebnisse auch mal für mich behalten und die Leserinnen und Leser mit zwei Gespenstern der Realwelt vertraut machen.

Es handelt sich zuerst um ein männliches Exemplar meiner Nachbarschaft, einen leicht hinkenden, Stock und Mütze tragenden Endverbraucher auf dem Sprung ins Greisentum.

Tagaus, tagein tapert er durch unsere Ladenstraße und schimpft dabei die recht verwunderliche Buchstabenreihe „Mnfschschehsan... aigensfffodnimäa!“ heraus. Stets gibt er simultan ein hassendes Gesicht zum besten und schüttelt hin und wieder gar den Stock gegen Gruppen von Passanten.

Lange Zeit hielt ich ihn für ein Opfer komplizierten Leidens beziehungsweise Vollidioten von Geburt. Doch seit gestern weiß ich's besser.

Da nämlich lief er geradewegs auf einen engagiert palavernden Afrikanerreigen zu, schüttelte sein Stöckchen und schimpfte wieder: „Mnfschschehsan... aigensfffodnimäa!!“

Da begriff ich: Er ist ein deutscher, ganztags blauer Naziblödian. „Mnfschschehsan... aigensfffodnimäa!!“: „Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr.“ Wenn Sie mich fragen: ein Ereignis von nicht geradewegs prustendem, aber doch eigentümlich selbstdrehendem Schalk.

Nun gelten Einkaufsstraßen allerding zu Recht als Mekka aller Haupt- und Nebenwidersprüche, ja als Lupe, welche alles Zwielicht dieser Welt zusammenzwingt und bündelt; und so folgte, nur zwei Tage später, erneut Gespenstisches.

Interesselos flanierte ich die Shoppingmeile rauf und runter, gab Straßenmusikanten zwei Mark fuffzig und schnappte dann ein zweisätziges Duett mit deutlich subproletarischem Personal auf.

Sie, Ende 40, Nachkriegsstruwwelkopf, Hornbrille, beigefarbener Mantel; er etwas älter, besoffen, äußerst dick, sehr häßlich, in einem Rollstuhl sitzend. Das Duett:

Er: „Als ob ich auf... auf die blöde, alte Fotze angewiesen wär!!“ Sie: „Ach was! Bist du nicht!“ Ende des Duetts.

Bis heute weiß ich nicht die Identität der „blöden, alten Fotze“. Ich weiß nur sehr genau, daß ich tief in mich sah und dort auf folgende stumme Republik stieß: „Natürlich bist du ruinöser Rollstuhlsack total auf jene Dame angewiesen, du dicker, häßlicher, saudummer Säuferkrüppel du!“

Kurzum: An jenem Tag lud ich Schuld auf mich; Schuld einer unreflektierten Aversion gegenüber Behinderten!

Wenn du aber, lieber Gott, mich trotzdem in den Himmel nimmst, erzähle ich dir eine sechs Jahre alte Anekdote aus den ersten Tagen Großdeutschlands. Sie stammt von Uschi, meiner Essener Gewährsfrau bei der Deutschen Bahn, und geht so:

Ein Erfurter Rentnerehepaar sei wütend an ihren Schalter getreten, habe geschimpft: Wo denn das Begrüßungskomitee bleibe? Und für die Stadtführung werde man nicht eine der verlangten zehn Mark bezahlen!

Laut meiner Gewährsfrau stand in einem in Erfurt verteilten Prospekt der Stadt Essen: „Besuchen Sie uns! Wir würden uns frauen, Sie einmal in Essen begrüßen zu dürfen. Für eine Stadtführung stehen wir gern zur Verfügung.“