Was tun gegen Le Pens Rassismus?

In Frankreich vergeht kein Tag mehr ohne einen Aufruf gegen die „rassistische Gefahr“. Erstmals seit den 70er Jahren berief die Linke einen Krisengipfel ein, mit mageren Ergebnissen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Es ist ihm wieder einmal gelungen: Mit einem ebenso bekloppten wie provozierenden Satz hat sich Frankreichs oberster Rechtsextremer, Jean-Marie Le Pen, ins Zentrum der Debatte katapultiert. Seit der Chef der 15-Prozent-Partei „Front National“ Ende August auf einer Pressekonferenz in Grande Motte am Mittelmeer wie nebenbei sagte: „Ich glaube an die Ungleichheit der Rassen“, befassen sich Politiker, Menschenrechtler und Journalisten jeder Couleur mit ihm. Kein Tag vergeht mehr ohne einen Alarmruf ob der „rassistischen Gefahr“, keiner ohne einen Vorschlag, wie ihr zu begegnen sei.

Die Initiativen in dem atemlosen Anti-Le-Pen-Reigen reichen von Verbotsvorschlägen gegen die Front National bis hin zu einem Spitzentreffen beinahe der gesamten französischen Linken. Nur die Trotzkisten waren nicht geladen, als die Spitzen von Sozialisten, Kommunisten und Grünen am vergangenen Donnerstag zu dem einzigen Thema „Was tun gegen Le Pen“ zusammenkamen. Das zweistündige Treffen war der erste Gipfel der französischen Linken seit dem Bruch der „Linksunion“ in den siebziger Jahren. Zustande kam ein rund 50 Zeilen langes Kommuniqué. Darin wird vor einer „Banalisierung des Rassismus“ gewarnt, die „Verteidigung der republikanischen Werte“ beschworen und ein Abbau der Arbeitslosigkeit gefordert.

Der Name Le Pen oder Front National kommt in dem Kommuniqué kein einziges Mal vor. Die Flut von Gegendarstellungen, die Le Pen in den vergangenen Monaten in französischen Medien erwirkte, hat auch die Linken eingeschüchtert.

Gerade dort, wo einst die linken Parteien PS und KPF am stärksten waren, hat die Front National ihre größten Zugewinne zu verzeichnen. Wähleranalysen weisen sie neuerdings als stärkste Arbeiterpartei aus. Doch eine gemeinsame Analyse des rechtsextremen Phänomens fiel bei dem historischen Treffen ebenso aus wie das Schmieden konkreter Pläne. Ideen, wenn sie denn kamen, scheiterten an den konkurrierenden Interessen der linken Chefs. Beispielsweise hätte der Chef der linksgaullistischen „Bürgerbewegung“, Jean-Pierre Chevènement, gern gemeinsame Listen der Linken für die Parlamentswahlen 1998 aufgestellt. Dazu schlug er dem linken Gipfel jene 47 französischen Wahlkreise vor, in denen sich bereits jetzt Stichwahlen zwischen rechtsextremen und konservativen Kandidaten abzeichnen. Kommunistenchef Hue ließ ihn auflaufen. Und eine nationale Demonstration sowie eine gemeinsame Klage gegen Le Pen wurden nur erwogen, jedoch nicht entschieden.

Als sie gar nicht mehr weiterwußten, gründeten die linken Chefs ein „nationales Komitee gegen die extreme Rechte“. Dieses Gremium soll künftig zwar nicht den konservativen Parteien, wie es Grünenchefin Voynet gewünscht hatte, aber immerhin den Gewerkschaften und anderen Verbänden offenstehen.

Traditionelle politische Hemmschwellen überwand auch die „republikanische Front“, die in mehreren französischen Wahlkreisen anläßlich von Nachwahlen antrat. Sämtliche demokratischen Parteien – von den Kommuisten bis zu den regierenden Neogaullisten – unterstützten dort bei der Stichwahl konservative Kandidaten gegen die Front National. Zweimal gelang es so, die Rechtsextremen zu stoppen. Doch Routine soll die republikanische Front nicht werden: Die großen Parteien wollen ein derartiges Zusammengehen nur punktuell erwägen.

Weitgehender ist der seit langem in der radikalen französischen Linken kursierende Vorschlag, die Front National zu verbieten. Zahlreiche Initiativen und Einzelpersonen hatten längst eine von der Wochenzeitung Charlie Hebdo lancierte Petition unterzeichnet, als Anfang September auch der einstige Sozialistenchef Emanuelli diese Forderung erhob. Die konservative Regierung lehnte gleich ab. Nachdem auch die sozialistische Parteihierarchie mit Schweigen reagierte, versackte der Vorschlag wieder.

Justizminister Toubon seinerseits nutzte die Gunst der Stunde, um ein neues Gesetz zu lancieren. Sein Entwurf schlägt vor, daß „Botschaften, die gegen die menschliche Würde und Ehre verstoßen“ sowie „gegen Personen oder -gruppen wegen ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Herkunft gerichtet sind“, künftig als Delikt betrachtet werden. Juristen und Menschenrechtsorganisationen reagierten alarmiert. Ein derartiges Gesetz gefährde Pressefreiheit und Demokratie, erklärten sie. Verstärkt wurden sie in diesem Verdacht von Urheber Toubon selbst, der unumwunden zugab, er wolle das Gesetz auch als Mittel im Kampf gegen islamische Fundamentalisten einsetzen. Menschenrechts-Anwälte fragten an, warum das vorhandene Gesetzesinstrumentarium – darunter das Verbot des Aufrufs zum Rassenhaß – nicht genutzt werde.

Gegen Le Pens rassistische Ausfälle kommt Widerstand auch aus anderen Berufsständen. Zum Beispiel veröffentlichten in der vergangenen Woche mehrere hundert Naturwissenschaftler eine Belehrung über das Wesen der genetischen Unterschiede. Jeder Mensch sei von Geburt aus anders, bestätigten sie, doch ergäbe sich daraus eben keine Hierarchie.

Scheinbar ungerührt von der Le-Pen-Debatte überlegt Premierminister Juppé, vor den Parlamentswahlen im Jahr 1998 das Wahlrecht zu ändern. Die Einführung einer Portion Verhältniswahlrecht in das reine Mehrheitswahlrecht würde zahlreichen kleinen Gruppen den Einzug ins Parlament ermöglichen, darunter die Grünen. Auch wenn die meisten Franzosen eine solche Änderung begrüßen, könnte Le Pens Partei damit schnell in die Rolle des Mehrheitsbeschaffers gelangen. Während die sogenannte politische Klasse über ihn streitet, wartet Le Pen selbst ab. Nach seinem Bekenntnis zur Ungleichheit der Rassen hatte der Rechtsextreme erst einmal seine Anwälte prüfen lassen, ob die Äußerung strafbar sei. Nachdem sie Entwarnung gegeben hatten, kündigte er an, demnächst mehr zum Thema sagen.

Längst hat seine Bewegung das politische Klima in Frankreich so verändert, daß der von ihm proklamierte „Kampf gegen die Immigration“ in aller Munde und Teil der Regierungspolitik ist. Weiter unten, an der Basis der französischen Gesellschaft, verschaffen sich die Rechtsextremen gleichzeitig feste Pätze in den Institutionen: Unter anderem haben sie eine Polizeigewerkschaft und eine Mietervertretung im sozialen Wohnungsbau gegründet und ihre Kulturarbeit in den Vorstädten intensiviert. Solange die anderen sich streiten, arbeitet alles für Le Pen.