Im Gefängnis zu Tode geprügelt

■ In der Türkei werden Menschenrechte immer häufiger verletzt. Kritiker verschwinden oder werden umgebracht

Istambul (taz) – In einer großangelegten Kampagne „Türkei: Unsichere Zukunft ohne Menschenrechte“, die heute in Istanbul vom Generalsekretär Pierre Sane vorgestellt wird, klagt die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei an. Im Namen angeblicher Staatssicherheit haben türkische Militärs in den vergangenen Jahren schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, geduldet oder vertuscht.

Seit Anfang der 90er Jahre hat sich in der Türkei eine neue Form der Repression herausgebildet: Politischer Mord und das „Verschwindenlassen“ unliebsamer Kritiker. Hunderte Menschen sind dieser Gewalt zum Opfer gefallen. „Die Menschenrechtsverletzungen geschehen überall in der Türkei“, erklärt Pierre Sane: „Jeder, der in der Türkei in Polizeihaft genommen wird, ist von Folter bedroht.“ Die Fälle von Folter und Mißhandlung betreffen amnesty zufolge Menschen jedes Alters und Geschlechts: Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen und religiöser Minderheiten ebenso wie Journalisten, Oppositionelle, Flüchtlinge oder Parlamentarier.

Typisch ist der Ermordung des Journalisten Metin Göktepe, den amnesty international dokumentiert. Göktepe wurde im Januar 1996 festgenonnen, weil er über die Beerdigung von Gefangenen berichten wollte, die vier Tage zuvor in dem Gefängnis Ümraniye von Sicherheitskräften zu Tode geprügelt worden waren. Noch am selben Abend wurde Metin Göktepe tot aufgefunden. Sein Tod wurde – so der Autopsiebericht – durch Schläge verursacht.

Amnesty berichtet, daß seit 1992 mindestens 14 Journalisten, die über die Menschenrechtsorganisation in den kurdischen Gebieten berichteten, getötet wurden, im Gewahrsam der Sicherheitskräfte „verschwanden“ oder in Haft ums Leben kamen. Auch bewaffnete Oppositionsgruppen, besonders die kurdische Guerillaorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), verstoßen bei der Durchsetzung politischer Ziele ai zufolge gegen das humanitäre Völkerrecht.

Der Bericht kritisiert auch die deutsche Abschiebepraxis. Die Fälle von vier türkischen Asylbewerbern werden dokumentiert, die nach ihrer Abschiebung festgenommen und mißhandelt wurden. Amnesty fordert Bonn auf, keine Rüstungsexporte zu genehmigen, die zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können. In der Vergangenheit war der Einsatz deutscher Panzer in den kurdischen Gebieten heftig kritisiert worden. Die EU, die der Zollunion mit der Türkei vergangenes Jahr zustimmte, wird von ai aufgefordert, darüber zu wachen, daß die Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei sichergestellt wird.

Die Reformen, die ai vorschlägt, um eine Verbesserung der Menschenrechtssituation herbeizuführen, werden allerdings kaum Gehör finden. Die islamistisch- konservative Koalition unter Ministerpräsident Erbakan setzt die Repressionspolitik ihrer Vorgänger fort. Erst vergangene Woche wurden elf kurdische Gefangene im Gefängnis Diyarbakir zu Tode geprügelt. Und Berichte von ai wurden bislang von der türkischen Regierung stets als „einseitige Propaganda“ und „Unterstützung für terroristische Gruppen“ abgetan. Ömer Erzeren