Schuldenerlaß hilft nach 2000

Weltbank und IWF versprechen Entschuldung für die ärmsten Länder. Doch spürbar wird die Hilfe erst nach der Jahrtausendwende  ■ Aus Washington Nicola Liebert

Den ganzen Sonntag über lasen sich die 24 Mitglieder des Interimskomitees des IWF, Finanzminister und Notenbankpräsidenten, ihre vorbereiteten Statements vor. Dann einigten sie sich auf ein Kommuniqué, in dem der zentrale Satz steht: „Das Komitee unterstützt wärmstens das von Fonds und Bank vorgeschlagene Aktionsprogramm, das sicherstellen soll, daß die stark verschuldeten armen Länder, die erfolgreich wirtschaftliche Anpassung vorgenommen haben, eine tragfähige Schuldensituation erreichen können.“

Damit ist die Schuldeninitiative von IWF und Weltbank beschlossene Sache. „Tragfähig“ ist der Schuldendienst – also Zinsen und Rückzahlungen – für IWF und Weltbank, wenn nicht mehr als 20 bis 25 Prozent der Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufgewendet werden müssen und wenn die Gesamtschulden maximal des zwei- bis zweieinhalbfache der jährlichen Exporterträge ausmacht. (Zum Vergleich: Die BRD mußte nach dem Zweiten Weltkrieg maximal fünf Prozent der Exporteinnahmen für den Schuldendienst ausgeben – darauf achteten die Siegermächte, um Instabilität wie nach dem Ersten Weltkrieg zu vermeiden.)

Vorausgegangen waren zahlreiche Treffen in den letzten Tagen, auf denen alle Gläubiger ins Boot gezogen werden mußten. Insgesamt werden die Gläubiger verteilt auf mehrere Jahre zwischen 5,6 und 7,7 Milliarden Dollar für die Initiative aufbringen müssen, schätzt die Weltbank – je nachdem, wie sich die Exporte der betroffenen Länder entwickeln.

Für die Gläubigerländer ist die Lösung preiswert

7,7 Milliarden ist nicht teuer: etwa ein Siebtel der Entwicklungskosten für den Eurofighter oder ein Sechstel der Summe, die zur Bewältigung der Finanzkrise in Mexiko Ende 1994 aufgebracht wurde. Die Weltbank sagte schon mal bis zu zwei Milliarden Dollar zu. Die erste Hürde waren die G7. Die Weltbank hatte gefordert, daß die staatlichen Gläubiger künftig statt bisher 67 bis zu 90 Prozent der Schulden der höchstverschuldeten Länder erlassen. Zu immerhin 80 Prozent konnten sich die sieben größten Industrieländer am Samstag durchringen. Maximale Kosten für die im Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubiger: zwei Milliarden Dollar.

Besonders schwierig war es, den IWF zu beteiligen. Nicht, daß dieser nicht wollte – auf seine Weise: indem er niedrig verzinste Kredite mit langer Laufzeit vergibt. Für die Finanzierung wollte er fünf Prozent des IWF-Goldes, entsprechend zwei Milliarden US-Dollar, verkaufen. Dies forderten vor allem Großbritannien und die USA. Aber die Bundesregierung blockierte: Die Glaubwürdigkeit des IWF würde untergraben, wenn ohne eine akute Krise im internationalen Finanzsystem die Reserven angegriffen würden. Schuldenerlaß sei eine eindeutig entwicklungspolitische Aufgabe, und für Entwicklungspolitik sei nun mal die Weltbank und nicht der IWF verantwortlich.

Hinter der Sturheit der Bundesregierung steht wohl auch der Ärger über die USA, die sich zwar einerseits zum Advokaten eines Schuldenerlasses machten, andererseits aber möglichst selbst kein Geld dazu beitragen wollten. „Die amerikanische Regierung ist besonders gut darin, mit Geld Politik zu machen“, merkte säuerlich ein Mitglied der deutschen Delegation an. „Mit dem Geld anderer.“

Das Gold-Problem wurde elegant gelöst: Es verschwand einfach von der Tagesordnung. IWF-Chef Michel Camdessus ersetzte für die Sitzung des Interimsausschusses den Begriff Goldverkauf durch die viel schönere Formulierung „Optimierung des Managements der IWF-Reserven“. Und wann diese Optimierung nötig sei, ließ man kurzerhand offen. Bis zum Jahr 2000, so heißt es nun, habe der IWF sowieso genug Geld, um die vergünstigten Kredite – inzwischen ist sogar die Rede von einigen nicht rückzahlbaren Darlehen – zu finanzieren.

Die entwicklungspolitischen Gruppen in Washington loben, daß die Gläubiger zum erstenmal einen konzertierten Lösungsansatz unter Einbeziehung der multilateralen Schulden vorlegen. Aber „die Schuldeninitiative bringt zu wenig zu spät“, faßt Eurodad, ein Zusammenschluß europäischer entwicklungspolitischer Gruppen, zusammen.

Arme Länder müssen sechs Jahre brav sein

Das Prozedere ist unendlich langwierig und kompliziert. Zunächst müssen sich die in Frage kommenden Länder – 17 afrikanische Staaten sowie Nicaragua, Bolivien und Birma – drei Jahre streng an die wirtschaftlichen Auflagen von IWF und Weltbank halten.

Erst dann wird ein vorläufiger Rahmenplan erstellt, und nach weiteren drei Jahren sollen die staatlichen Gläubiger zunächst einen Teil der Schulden erlassen; kommerzielle Gläubiger sollen möglichst folgen. Erst dann zahlen Weltbank und IWF vergünstigte Kredite und Darlehen bis zu dem Punkt, an dem der Schuldendienst ein „tragfähiges Niveau“ erreicht hat. Die Freude bei den potentiellen Empfängern hielt sich denn auch in Grenzen. Ein Delegationsmitglied aus Nicaragua beklagte beim anschließenden Empfang, daß er es gar nicht mehr erleben würde, daß sein Land in den Genuß der bescheidenen Wohltaten käme. Die mosambikanische Delegation hat gar eine genaue Rechnung mitgebracht: Mosambik wird, wenn die Schuldeninitiative in die Praxis umgesetzt wird, in den kommenden Jahren deutlich mehr für Zinsen und Tilgung zahlen müssen als heute. Das vom Bürgerkrieg ruinierte Land gibt derzeit knapp 60 Millionen US-Dollar im Jahr für Zinsen und Tilgung aus. Im Jahr 2003 werden schon 191 Millionen Dollar fällig. Und 2004, wenn Mosambik sich endlich für das Schuldenerleichterungsprogramm qualifiziert, vermindert sich dadurch der Schuldendienst bloß um lächerliche 18,5 auf 172,5 Millionen Dollar.