Die Opposition macht gute Miene zum bösen Spiel

■ Bislang schweigt die israelische Opposition zur Eskalation. Aber nach dem Gipfel in Washington ist die Regierung Netanjahu innenpolitisches Thema Nummer eins

Seit den Zusammenstößen der vergangenen Tage ist die Opposition in Israel noch nicht recht zu sich gekommen. Immer wenn es um die Sicherheit Israels und die „Konfrontation mit Arabern“ geht, sind politische Differenzen traditionsgemäß dem nationalen Interesse untergeordnet. Solange es noch „heiß hergeht“, wird die Haltung der jeweiligen Regierung so gut wie nicht öffentlich hinterfragt oder ernstlich diskutiert.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der diese Spielregeln gut kennt, hat sich deshalb bei seiner Jerusalemer Pressekonferenz am Wochenende mit den führenden Militär-, Polizei- und Sicherheitsexperten umgeben, um auf diese Weise politischen Fragen aus dem Wege zu gehen.

Langfristig steht die innenpolitische Auseinandersetzung mit der Likud-Koalitionsregierung Netanjahus dennoch bevor. Aber sie wird wohl erst nach dem Washingtoner Gipfeltreffen Netanjahus mit Arafat geführt werden. Die Resultate dieser Konferenz sowie die weitere Entwicklung in den israelisch-palästinensischen Beziehungen werden für die Debatte im Lande ausschlaggebend sein.

Rücktritt Netanjahus „im Interesse des Friedens“

In der zweiten Oktoberwoche wird die Knesset, das israelische Parlament, Mißtrauensanträge der Oppositionsparteien im Zusammenhang mit den letzten Ereignissen behandeln müssen. Bis dahin werden sich auch die Koalitionsparteien, die bisher zu den Vorfällen geschwiegen haben, zu einer halbwegs überzeugenden Stellungnahme zugunsten Netanjahus durchringen müssen.

Netanjahus Anhänger warnten den Ministerpräsidenten gestern vor irgendwelchen Konzessionen gegenüber den Palästinensern. Auf der anderen Seite forderten Peace-Now- und Meretz-Demonstranten Netanjahu vor seinem Jerusalemer Amtssitz auf, „die Osloer Abkommen mit den Palästinensern einzuhalten“. In Tel Aviv kamen einige tausend Menschen des linken Oppositionslagers am Rabin-Platz vor dem Rathaus zusammen, um „im Interesse des Friedens den Rücktritt Netanjahus“ zu fordern.

Die Führer der oppositionellen Arbeitspartei beschäftigt einstweilen die Frage, ob die Bildung einer nationalen Einheits- oder Notstandsregierung mit Netanjahus Likud jetzt möglich wäre. Dieses vom ehemaligen Regierungschef Schimon Peres immer wieder neu ins Spiel gebrachte Szenario als letzter Weg zurück zur Macht wird von den jüngeren Führern der Arbeitspartei abgelehnt; eine Mehrheit erklärt sich bereit, die Netanjahu-Regierung „von außen“ zu unterstützen, „wenn Netanjahu verspricht, den Friedensprozeß fortzusetzen und die rechtsextremen Stimmen innerhalb der Regierung zu ignorieren“.

Der ehemalige Minister Jossi Beilin von der Arbeitspartei riet Netanjahu, sich „nicht von rechtsextremen Regierungsmitgliedern wie Ariel Scharon, Rafael Eitan oder Benni Begin beeindrucken zu lassen. Wenn der militärische Rückzug in Hebron zur Durchführung gelangt, wird die Arbeitspartei Netanjahu im Parlament unterstützen. Wir werden Netanjahu dann nicht fallen lassen, auch wenn wir nicht an einer großen Koalition beteiligt sind.“

„Notstandskoalition der nationalen Einheit“?

Netanjahu selbst hat sich diesen Weg zu einer breiten „Notstandskoalition der nationalen Einheit“ mit der Arbeitspartei einstweilen offengehalten. Seine Berater betonen jedoch, so etwas käme nur in Frage, wenn alle anderen Stricke reißen. Einige der religiösen Koalitionspartner des Likud, darunter die sefardisch-orthodoxe Schas- Partei, würden den Beitritt der Arbeitspartei in die Regierung begrüßen.

Einige Führer der Oppositionsparteien verlangen die Bildung einer Untersuchungskommission, die feststellen soll, wie die Regierung die Öffnung des Tunnels in der Via Dolorosa habe beschließen können, die zu den scharfen Zusammenstößen mit den Palästinensern geführt habe. Kritisiert wird auch die Art und Weise, in der Netanjahu selbst politische Beschlüsse faßt, ohne dazu die Meinung des Generalstabs und der Sicherheitsexperten einzuholen.

Sowohl in Koalitions- als auch Oppositionskreisen herrscht die Meinung vor, daß Netanjahu jetzt unter dem Druck der Vereinigten Staaten vielleicht zu einigen kleinen Konzessionen den Palästinensern gegenüber gebracht werden könnte, daß er aber keinesfalls bereit sein wird, über die Erfordernisse der bereits unterzeichneten Abkommen (OsloII) hinauszugehen. Mit anderen Worten: Man kann nicht erwarten, daß die Verhandlungen über alle entscheidenden Probleme wie etwa den Status Jerusalems, die Siedlungen und die Flüchtlinge zu irgendwelchen Resultaten führen, sofern sie überhaupt eingeleitet werden. Amos Wollin, Tel Aviv