Der Gatte der Meerjungfrau

■ Noch mehr Bronze im öffentlichen Raum: Stefan Balkenhols „Mann mit Vogel“ bevölkert seit kurzem den Platz an der Martinistraße und soll die Öffnung der Stadt zum Fluß symbolisieren

Letztes Jahr hat Stephan Balkenhol eine Meerjungfrau in den Schnee verfrachtet. Von der Zugspitze aus, auf der es eine nur mit der Seilbahn erreichbare Galerie gibt, schaute die hölzerne Märchenfigur hinaus in die Ferne. Vielleicht hätte sie sich weniger einsam gefühlt, hätte sie von ihrem Bruder hoch im Norden gewußt: Seit kurzem steht Balkenhols „Mann mit Vogel“ an der Martinistraße am Weserufer und ist somit ganz nah dran am Element ihrer Sehnsucht: dem Wasser.

Das Standbild des Rückriem-Schülers, der 1989 den Bremer Kunstpreis erhalten hat, ist mit 80.000 Mark aus den Mitteln der Spielbank-Stiftung „Wohnliche Stadt“ finanziert worden. Nach Auskunft der Senatspressestelle symbolisiert seine Ausrichtung zur Weser die „neue Öffnung der Stadt zum Wasser“. Ob es da auch symbolisch ist, daß der „Mann mit Vogel“ in Wirklichkeit nicht das Wasser, sondern nur den Teerhof vor Augen hat?

Auf den ersten Blick haben Stephan Balkenhols Arbeiten keine Verbindung mehr zu denen seines Lehrers Ulrich Rückriem. Dessen fast unbearbeitete Granitsteine sind in Bremen vor der Hillmann-Passage und vorm Neuen Museum Weserburg zu sehen. Als Balkenhol Anfang der achtziger Jahre begann, seine Männer und Frauen aus dem Holz zu hauen, wirkte ihre Naivität wie eine Befreiung von solch strenger Materialästhetik.

Wie alle Balkenholschen Figuren, seine über Europa verstreuten Brüder und Schwestern, steht der Mann mit der Möwe auf der Schulter bedächtig und ein bißchen ungelenk da. „Er scheint auf seine Bedeutung zu warten“, hat Ulrich Rückriem einmal über einen seiner zahlreichen Brüder gesagt. Eins aber unterscheidet den Vogelmann von seinen Geschwistern: sein Gewicht. Er ist in Bronze gegossen, für Balkenhol ein ganz neues Material. „Aus Angst vor Vandalismus haben wir uns für Bronze entschieden“ sagt Rose Pfister von der Kulturbehörde, die den Kontakt zum Künstler hergestellt hat. „Balkenhol war selber aufgeregt, es war auch für ihn ein Experiment. Aber am Ende fand er es gelungen.“

Ist das Experiment wirklich gelungen? Anstelle des rauhen Holzes, das sich noch lange nach seiner Verarbeitung verändert, ist elegante, starre Bronze getreten. Wo die helle Holz-Maserung sonst Hände und Gesicht aufleuchten läßt, verwandelt die dunkle Bronze den Vogelmann in einen sonnenverbrannten Schwarzen. Statt wie seine Verwandten einem hölzernen Sockel gleichsam zu entwachsen, steht er unsicher auf dem glatten Blechtisch. Und im Gegensatz zu ihnen, dem Mann vorm Bremerhavener Kunstverein beispielsweise, zieht er sich auch nicht mehr in einen Winkel zurück: Wie eine ganz normale Denkmalfigur beansprucht er die Mitte des Platzes.

In Balkenhols Oeuvre bedeutet diese neue Skulptur einen Schritt zurück in die bildhauerische Konvention. Er scheint an dem Punkt angekommen zu sein, den jeder erfolgreiche Künstler früher oder später erreicht: Das erfrischend Neue seiner Arbeit droht zur Masche zu werden. Und die tastende Suche nach neuen Ausdrucksformen geht nicht ohne Irrtümer ab.

Wenn man also auch der Ansicht sein kann, daß Bremen eigentlich schon über genug Bronze im öffentlichen Raum verfügt, so ist diese doch wenigstens stellenweise mit Acrylfarbe bemalt. Und wegen des gebührenden Abstands vom Wasser wird der „Mann mit Vogel“ auch weniger Verwirrung stiften als ein weiterer Balkenholscher Bruder, der mitten auf der Londoner Themse installierte „Mann auf einer Boje“: Dessen ungemein naturalistische Ausführung hat nämlich einmal einen Passanten zum Lebensretter gemacht. Mit dem Ruf „Nicht springen!“ hatte er sich in die kalten Fluten gestürzt – was den Mann auf einer Boje natürlich vollkommen kalt ließ. Anja Robert