Flüchtlinge dürfen nicht umziehen

■ Bremer Sozialamt verheddert sich im Gesetzesdickicht / Bremer Richter: Fälle häufen sich

Nur noch ein Familienfoto steht auf dem Fensterbrett, die Koffer sind längst im Schrank verstaut. Doch jetzt wird die irakische Flüchtlingsfamilie Vali wieder vertrieben – und zwar vom zuständigen Sozialamt. Sieben Monate hatte es Sozialhilfe gewährt. Doch jetzt zahlt Bremen der Mutter und den beiden Töchtern keinen Pfennig mehr: Die Familie muß zurück nach Sachsen-Anhalt – dort, wo sie ihre Aufenthaltserlaubnis bekam. Eine späte Einsicht, schimpft Peter Wührmann vom Bewohnertreff Grohn. Der Sozialpädagoge hat in Bremen gar eine neue Verwaltungspraxis ausgemacht: „Das ist garantiert kein Einzelfall.“

Tatsächlich weiß Verwaltungsrichter Herbert Engelmann, daß solche Fälle gehäuft bekannt werden: In den letzten drei Monaten landeten allein sechs Verfahren gegen die zuständige Sozialbehörde vor dem Verwaltungsgericht. Auch die betroffene irakische Mutter war vor das Verwaltungsgericht gezogen – aber ohne Erfolg. Denn seit zwei Jahren schon sieht das Sozialhilfegesetz folgende Regelung vor: Sozialhilfe können Asylbewerber nur in Bundesländern bekommen, die sie als Flüchtlinge anerkannt haben. „Das wissen wohl viele Sachbearbeiter nicht. Da kommt dann zufällig nach positivem Sozialhilfe-Bescheid der Abteilungsleiter vorbei. Und so wird das dann bekannt“, weiß der Richter. „Oder ein neuer Sachbearbeiter kommt, und der weiß dann eben nicht Bescheid.“

In Vegesack hüllt sich der zuständige Ortsamtsmitarbeiter Bernd Rosenthal in betretenes Schweigen. „Fragen sie beim Pressesprecher der Sozialbehörde nach. Dazu kann ich nichts sagen.“ „Das war ein Fehler des Amtes“, gibt Sprecher Holger Bruns-Kösters auf Nachfrage zu. „Das kann nicht angehen“, kritisiert er schnell. Sein Fazit: Das Sozialamt hätte überhaupt keine Sozialhilfe gewähren dürfen. „Aber das ist Sache der Menschen vor Ort. Da mischt sich die Behörde nicht ein“.

Genau diese Einmischung jedoch wirft Wührmann der Sozialbehörde vor. Statt über unwissende Sachbearbeiter zu schimpfen, vermutet er: „Die haben Order von oben bekommen“. Bisher hätte das Amt gewährte Sozialhilfe bei anderen Bundesländern in Rechnung gestellt: „Diese Praxis scheint beendet zu sein.“ Doch Sprecher Bruns-Kösters will davon nichts wissen: „So ist es absolut nicht“. Wieder schiebt er den Ämtern den schwarzen Peter zu: „Das haben allein die Menschen im Amt zu entscheiden.“ Auf sie hatte sich Familie Vali verlassen. Sozialpädagoge Wührmann: „Im Amt sitzen doch auch Menschen, die sollten sich endlich einen Ruck geben.“ Mutter Khalida sitzt schockiert in ihrem Wohnzimmer, bringt kaum ein Wort heraus. Ihr Mann darf nach gelungener Flucht endlich aus einem Asylbewerberheim in Oldenburg nach Bremen kommen. Und auch ihr 14jähriger Sohn fand endlich den Weg in die Hansestadt. Beide müßten in Bremen auf ihr Asylverfahren warten. „Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll“, sagt sie und weint. Der Schock über ihre Flucht aus dem Irak sitzt tief – jahrelang wurde ihre Familie politisch im Golfkriegsland verfolgt. „Jetzt wollen wir endlich Ruhe haben.“ Doch dieser Wunsch scheint hoffnungslos zu sein: Die Familie hat beim zuständigen Amt Widerspruch eingereicht. „Da ist wohl nichts mehr zu machen“, erklärt Bruns-Kösters und versucht, die Ängste der Familie zu beschwichtigen: Schließlich sei Sachsen-Anhalt ja keine Abschiebehaft. kat