■ Normalzeit
: Watch out!

Bei diesen ganzen halblinken US-Flankenmaßnahmen der „Wallstreet“-Globalisierung – namens „Indonesia Watch“, „Baikal Watch“, „Swiss Watch“, „Berlin-Watch“ („Die Stadt bleibt Päderasten-Hochburg“) und vor allem „World Watch“ – ist noch viel zu wenig Watch und Much-to-much-Interpretation drin: „Es gibt nie genug Fakten und immer zuviel Deutung, die Akte durch Deutung sind am gefährlichsten für die Freiheit“, so Foucault-Assistent François Ewald – lange vor dieser ganzen Watch-Scheiße.

Was tut sie? Sie wertet Statistiken, Bilanzen und Hochrechnungen aus, die mit dem wirklichen Leben nichts zu tun haben! (Um die Dialektik mal auf der anderen Seite auszuhebeln.) Die Watcher sollten vom CSU-Lokalpolitiker und Siemens-Konzernchef Pierer lernen: Um einen Überblick über das weltweite Firmenimperium zu bekommen, verläßt er sich nicht auf die Berichtszahlen seiner Geschäftsführer, sondern „verbringt fast jede Nacht in einem anderen Hotel“ und „redet auch viel mit Betriebsräten, da erfahre ich eine ganze Menge“.

Jetzt hat auf die nämliche Weise der „Spiegel-Watch“ einen Weltreport namens „Die Globalisierungsfalle“ im Rowohlt Verlag vorgelegt, der sehr spannend zu lesen ist (und sei es nur, weil wir durch jahrzehntelange Spiegel-Lektüre dafür verblödet genug wurden).

Die Autoren H.P. Martin und H. Schumann verbinden Statistiken und Geschichten, Fakten- und Sinnhuberei bei ihrer Verdammung der „Deregulierung“, die auf eine „Einfünftelgesellschaft“ zusteuert, wobei die verarmenden vier Fünftel der Bevölkerung mit dem, was Zbigniew Brzesinski „Tittytainment“ nennt, bei Laune gehalten werden.

Die Buchvorstellung hatte Rowohlt-Geschäftsführer Nico Hansen im ehemaligen Staatsratsgebäude plaziert und mit der Prominenz des Umzugsbeauftragten der Bundesregierung, Klaus Töpfer, und des Enthüllungsreporters Günter Wallraff flankiert – was nahezu die gesamte taz-Mannschaft nach Mitte lockte. Klaus Töpfer, der dieselbe Rethorikausbildung wie Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen hat, aber wortmächtiger und weltläufiger ist, sprach von „Anna-lyse“ und „Thera-pie“, über „Staubsauger, Briten und Oasen“. Der Bundesbauminister riet „Macht ernst mit Europa!“ und daß er „die Gewichtung zwischen Keynes und Friedman anders vorgenommen hätte“.

Während der „Umweltkonferenz von Copacabana“ 1992 war Töpfer zu einer Party des Rio- Korrespondenten und Buchautors H.P. Martin eingeladen worden – immer wieder kam er darauf zurück: auf diese wunderbare Spiegel-Wohnung mit Terrasse und Blick auf den schönen Strand. Entschuldigend fügte er hinzu: „Da braucht sich Martin nicht für zu schämen – seine Party war wirklich gut!“ Wallraff hub von der anderen Seite her an: Von der „Sklaven“-Situation auf den deutschen Baustellen, die jetzt schon schlimmer sei als damals zu Zeiten seiner Türkenrecherche.

Hansen sprach vom „Ende der DDR“ sowie vom „endgültigen Ende nationaler Demokratien und Ökonomien“ – und kam dann merkwürdigerweise auf das kürzlich erschienene Buch von Goldhagen zu sprechen, das gerade für furioseste Feuilletonkontroversen sorgt – jedoch nicht im Rowohlt Verlag erschienen ist. Anfangs hielt ich das für eine Fehlleistung, aber dann begriff ich: „Die Globalisierungsfalle“, so wichtig und aktuell das Buch ist, wird leider nie so etwas wie eine „Goldhagen-Debatte“ auslösen können.

Die Autoren selbst sagen, warum: Das Kapital agiert überall und nirgends, und wenn es aufklärerisch zur Rede gestellt wird, artikuliert es sich bloß als „Naturgesetz“: An Tätern und Opfern läßt sich endlos rumdeuten, nicht jedoch an der Politik der US- Rentenfonds etwa – sie ist so eindeutig wie Wasserpest oder Flöhe, „die nur ein Interesse haben: sich zu vermehren“! (Alfred Brehm/Roland Barthes).

Und deswegen werden auch die bürgerlichen Zeitungen etwa für ewig bei ihrem Schema bleiben: drei Seiten Sport (fairer Wettkampf) und gleich dahinter eine Seite Wirtschaft (keine Panik). Das Buch fällt dazwischen. Kleiner Trost: Es hat „Manifestcharakter“ (Töpfer), und wir dürfen sagen, wir sind dabeigewesen – im verlassenen Staatsratsgebäude! Helmut Höge

wird fortgesetzt