Außerdem ...

Theodor W. Adorno schrieb in seinem „Versuch, das Endspiel zu verstehen“: „Hat der vor-Beckettsche Existentialismus [...] Philosophie als poetischen Vorwurf ausgeschlachtet, so präsentiert Beckett, gebildeter als irgendeiner, ihm die Rechnung: Philosophie, Geist selber deklariert sich als Ladenhüter, traumhafter Abhub der Erfahrungswelt, und der dichterische Prozeß als Verschleiß.“ Das Endspiel endet nie. Davon zeugen die Aufsätze in dem Buch „Neue Versuche, Becketts Endspiel zu verstehen“, herausgegeben von Hans-Dieter König (Suhrkamp, 24,80 DM).

Ebenfalls bei Suhrkamp erscheint das satt illustrierte Werk „Samuel Becketts Irland“ von Eoin O'Brien (416 Seiten, 78 DM). „Das Fahrrad ist ein hohes Gut. Aber bei falschem Gebrauch wird es gefährlich“, heißt es in Becketts Roman „Mercier und Camier“. In „Samuel Beckett und seine Fahrräder“ untersucht Friedhelm Rathjen Becketts Faible für Zweiräder. (Verlag Jürgen Häusser, 64 Seiten, 48 DM).

Von Brendan Behan, dem lärmenden Rauf- und Trunkenbold, der vor allem als Bühnenautor zu Weltruhm kam, wurde die von Sprachwitz und überschäumender Phantasie gekennzeichnete Schilderung seiner Jugend- und Haftzeit, „Borstal Boy“ (Kiepenheuer & Witsch, 440 Seiten, 24,80 DM), wiederaufgelegt. Außerdem „Das gleiche noch mal!“ mit dem Romanfragment „Die Katakomben“ und 14 zu Zeitungsglossen komprimierten Charakterskizzen (Edition Nautilus, 160 Seiten, 29,80 DM).

Außerdem ...

In Taschenbuchausgabe erscheint eine revidierte und ergänzte Ausgabe der monumentalen Joyce-Biographie von Richard Ellmann, einem Musterbeispiel einer dem Detail verpflichteten und dennoch fesselnd geschriebenen Lebensdarstellung (Suhrkamp Taschenbuch, 1.250 Seiten, 34,80 DM).

Biographie, Bildband und kritische Untersuchung der Themen und Techniken des Joyceschen ×uvres sowie ein Irland-Panorama seiner Zeit ist David Pierces wohlgestaltetes Buch „James Joyces Irland“. (Bruckner & Thünker, 296 Seiten, geb., 160 S/W- Abb., 68 DM).

Nur einer wie Sergej M. Eisenstein, sagte Joyce einmal, könne seinen Ulysses verfilmen. Dessen assoziative Technik wollte Eisenstein sich für die von ihm geplante Verfilmung des Marxschen Kapitals nutzbar machen. Am 30. Oktober 1929 sind die beiden sich sogar für ein Stündchen in Paris begegnet. Mehr dazu findet sich in Fritz Göttlers Essayband „James Joyce. Sergej M. Eisenstein“ (EVA, 100 Seiten, 28 DM).

Mit Oliver St. Gogarty, dem Dubliner Lyriker, Dandy, Geschwindigkeitsfanatiker und Senator des irischen Freistaates, hat Joyce 1904 ein paar Tage in jenem Turm im Süden Dublins gewohnt, der heute ein kleines James-Joyce-Museum beherbergt. Joyce hat Gogarty als Buck Mulligan in seinem „Ulysses“ verewigt. In Gogartys Haus verkehrten George Moore, William Butler Yeats, James Stephens und andere Dubliner Literaten. Sein Sittenbild Dublins von 1937 – „ein feines, reichhaltiges Irish-Stew“ – wie der New statesman damals urteilte – liegt jetzt auf deutsch vor: „As I was going down Sackville Street. Eine Phantasie in Tatsachen“ (Merlin Verlag, 330 Seiten, 48 DM).

Gogarty war mit Michael Collins befreundet, dem militärischen Führer im irischen Unabhängigkeitskrieg, über den Neil Jordan gerade einen in Cannes preisgekrönten Film gemacht hat. Die Ermordung von Michael Collins auf der einsamen Straße von Bel na Blth im Jahr 1922 beleuchtet Robert Doyle in seinem Roman „Herbst in Dublin“ (Schneekluth, 384 Seiten, geb., 44 DM).

Außerdem ...

Am 4. Oktober wird der Tag gefeiert, an dem Myles na gCopaleen zum ersten Mal in der Irish Times eine Kolumne veröffentlichte. Myles na ...? Diesen (und andere) Namen benutzte Flann O'Brien, um in der seriösen Dubliner Tageszeitung eine höchst subversive Form des Journalismus zu praktizieren. Teile dieses Schabernacks sind in dem prima in jede Jackettasche passenden und in abwaschbares Plastik gebundenen Bändchen „Trost und Rat“ zu finden (Haffmans, 160 Seiten, 10 DM). Und da man von O'Brien nie genug bekommen kann, gibt's daselbst „Das große Flann O'Brien Buch“ (576 Seiten, 29,80 DM).

Geschichten und Gedichte junger IrInnen enthält Haffmans bewährtes Literaturmagazin „Der Rabe“ (Nr. 46), der deshalb „Der lebendige irische Rabe“ heißt.

Zu einem Bestseller entwickelt sich das Buch „Down by the River“ von Edna O'Brien (Weidenfeld & Nicholson, 15,99 £). Der Roman handelt von einem jungen Mädchen, das nach ihrer Vergewaltigung nach London fahren muß, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dem Buch liegt der „FallX“ zugrunde, der vor ein paar Jahren in Irland für Schlagzeilen sorgte. Edna O'Briens bereits 1985 in deutscher Sprache erschienene Erinnerungen an ihre „Mother Ireland“ hat der Verlag Hoffmann und Campe neu aufgelegt: „Mein Irland“ (120 Seiten, 28 DM). Von der Liebe einer Frau zu einem von der Polizei gesuchten jungen Kämpfer für die Freiheit Irlands handelt O'Briens Roman „Das einsame Haus“ (Hoffmann und Campe, 288 Seiten, 44 DM).

Außerdem ...

Die O's haben in der irischen Literatur stets eine Rolle gespielt. Zu den Shooting-Stars gehört Joseph O'Connor, der in diesem Jahr bereits zwei neue Bücher vorlegte. In „The Irish Male at Home and Abroad“ (New Island Books, 280 S., 6,99 Ir£) beanspruchen besonders die Schilderungen der „modern sexual etiquette“ die Lachmuskeln. „Sweet Liberty“ ist eine höchst amüsante Reise durch die mehr als zwanzig US-amerikanischen Käffer, die den Namen Dublin tragen (Picador, 15,99 £). In deutscher Sprache wird uns O'Connors „Desperados“ geboten. Das Buch entführt uns in das Irland der fünfziger und das Nicaragua der achtziger Jahre (Ammann Verlag, 464 Seiten, geb., 49,80 DM).

Es sagt einiges über die Irland-Rezeption hierzulande, daß es einen Bildband über Belfast bislang nicht gegeben hat. Christof Leistl hat diese Lücke nun mit seinem Fotobuch „Belfast“ gefüllt. Seine Schwarzweißfotos zeigen ein Belfast ungeschönt, in all seiner Tristesse und Armut, als Stadt des Zwiespalts. (Belleville, 140 S., Großformat, 98 DM).

Die Grafschaft Clare bereiste 1954 Dorothea Lange, die amerikanische Klassikerin des Fotorealismus. Die Fotos des Buches „Dorothea Lange's Ireland“ (Aurum Press, 120 Seiten, geb., 19,95 £) zeigen ein ländliches Irland, wie es ein Heinrich Böll auf seinen ersten Irland-Reisen noch erlebt hat.

Außerdem ...

Dem „guten Heinrich“ ist eines der Kapitel in Elsemarie Maletzkes Buch „Irish Times“ gewidmet (Schöffling & Co., 138 S., 26 DM). Maletzke gehört zu den Autorinnen, denen die Irland-Begeisterung nicht den Blick dafür verstellt, daß Irland „nämlich nicht so sattgrün [ist] dank der kleinen Wolke, die einmal täglich angesegelt kommt, sondern wegen seines soliden Dauerregens – und zwar so wie im Kino: Als stünde einer auf dem Vordach und schütte aus Kannen eine Wasserwand.“

In Anspielung auf Bölls Bestseller nennt Ralph Giordano seine umfangreiche Irland-Erkundung „Mein irisches Tagebuch“ Kiepenheuer & Witsch, 424 Seiten, 45 DM). Seit er 1969 für eine Fernsehdokumentation recherchierte, fühlt er sich „an Irlands Schicksal gekettet“. Giordanos Reise führt vom Westen der Republik bis nach Belfast, Tagebuchnotizen lösen historische, kulturelle oder Alltagsbetrachtungen ab. Ein Satz ragt aus dem Fluß des Erzählens heraus: „Es muß Schluß, es muß endlich Schluß sein mit der Gewalt.“ Das geht an die Adresse der britischen Regierung, die bislang jede Initiative zu einem wirklichen Friedensprozeß torpediert hat.

Vom Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney liegt nun die Übersetzung seines Gedichtbandes „North“ wieder vor („Norden“. Englisch/ Deutsch. Hanser Verlag, 128 Seiten, 26 DM). „North“ ist das Buch, in den Heaney sich am intensivsten mit den politischen Verhältnissen in Nordirland auseinandersetzt. Immer wieder betont Heaney, wieviel Energie es erfordert, sich in Zeiten gewaltsamer Konflikte nicht vereinnahmen zu lassen, „Poesie ohne Angst und Abbitte würdigen zu können ...“ Das Zitat findet sich in dem Band „Die Poesie würdigen“, der seine Nobelpreisrede und ein Interview enthält. (Verlag Jürgen Häusser, 64 Seiten, 24 DM). In seinen fünf Jahren als Professor of Poetry in Oxford hat Heaney versucht, die „Lebenstreue“ der Dichtung zu beleuchten. Die Vorlesungen sind jetzt in dem Band „Verteidigung der Poesie“ versammelt (Hanser Verlag, 296 Seiten, 39,80 DM). Jürgen Schneider