Monopoly ohne Limit

Die High-Tech-Ökonomie frißt die Arbeitsplätze, die Regierungen schauen ohnmächtig zu. Ein Buch zur „Globalisierungsfalle“  ■ Von Dieter Rulff

Der Standort Deutschland hat ein Problem. Das wird ihm durch „unsere hohen Löhne, die hohe Steuer- und Abgabenbelastung sowie eine absurde Regulierungsdichte“ beschert. So lautet die Wahrheit des BDI-Präsidenten Olaf Henkel. Es ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit.

Als Anfang 1995 der Dollar gegenüber dem Yen und der Mark um 20 Prozent abrutschte, setzte ein Run auf die beiden Währungen ein. Daraufhin mußten auch alle europäischen Staaten im Verhältnis zu Mark und Yen abwerten. Die Auslandseinnahmen deutscher Unternehmen waren plötzlich viel weniger wert als kalkuliert, Daimler, Airbus, VW und viele andere schrieben rote Zahlen und kündigten an, künftig vorrangig im Ausland zu investieren. So lautet ein anderer Teil der Wahrheit über das deutsche Standortproblem, nachzulesen in dem Buch „Die Globalisierungsfalle“ der beiden Spiegel-Redakteure Hans-Peter Martin und Harald Schumann. Die beiden Autoren erweitern die auch von sozialdemokratischer Seite gepflegte These von der wechselkursbedingten Schwäche der deutschen Wirtschaft um eine wesentliche Facette: Der schnelle Kursverfall des Dollars gegenüber der Mark war nicht gerechtfertigt, denn die tatsächliche Kaufkraft des Dollars entsprach eher dem Wert von 1,80 statt der gehandelten 1,36 Mark. Mit den Gesetzen des freien Marktes läßt sich das nicht begründen, allerdings läßt es sich als eine gewollte politische Strategie der Amerikaner erklären, um die eigene exportschwache Wirtschaft anzukurbeln.

Zeitweise Destabilisierung der eigenen Währung zur Stabilisierung der Wirtschaft ist nur eine der Spielarten, die die Global Player der internationalen Finanzmärkte beherrschen. Destabilisierung fremder Wechselkurse, um vom absehbaren Kursverfall zu profitieren, ist eine andere. Die Möglichkeiten, Aktienwerte zu manipulieren, sind so reichhaltig wie der Profit, der sich noch aus der Verschiebung der dritten Stelle hinter dem Komma bei einem Kurs erzielen läßt. Was zählt, sind weniger die realen Wertveränderungen als vielmehr die induzierten Schwankungen, die die spekulativen Geldströme auslösen. 1995 wurden allein in Termingeschäften Kontrakte im nominellen Wert von 41.000 Mrd. Dollar gehandelt.

Martin/Schumann geben anschaulich Einblick in das globale Netz der Geld- und Anlagemärkte, sie ordnen dem anonymen Fluß der Werte Namen zu, sie schildern Wirkungen und benennen Verursacher. Und sie warnen vor den fatalen Folgen, dem Zusammenbruch einzelner Volkswirtschaften und der damit einhergehenden Verelendung, wie dem „größten anzunehmenden Unfall“, dem Börsenkrach, gegenüber dem sich der Sturz der Barings-Bank als harmloses Spektakel ausnimmt.

Zur Regulierung der internationalen Finanzströme empfehlen Martin/Schumann die Einführung einer Steuer auf Devisentransaktionen. Eine solche Tobin-Tax (benannt nach dem Nobelpreisträger James Tobin) würde spekulative Wechselkursschwankungen eingrenzen, da diese erst ab einer gewissen Marge gewinnträchtig wären und zudem zu beträchtlichen Einnahmen führten. Das Problem ist nur, wie läßt sich diese Steuer erheben, ohne zugleich Devisenbewirtschaftung zu betreiben? Die von linken Ökonomen und Politikern neuerdings als willkommene Deckung staatlicher Defizite gefeierte Einnahmequelle leidet zudem unter dem Mangel, daß sie nur fließen würde, wenn alle Staaten dieser Welt sie gleichzeitig und gleichartig einführen würden. Eine in Anbetracht der globalen Konkurrenz der Standorte wenig realistische Perspektive.

Die Entgrenzung der Märkte, die ihren ersten Schub Ende der siebziger und ihre vorläufige Vollendung in der Gründung der WTO Mitte der neunziger Jahre erlebte, fand ihr innerstaatliches Pendant in den drei „-ungs“: Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Forciert wurde dieser Prozeß von Politikern wie Thatcher und Reagan, theoretisch unterfüttert wurde er von Wirtschaftswissenschaftlern wie Hayek und Friedman, die das Ende der keynesianischen Ära einläuteten. Die Regeln der ehedem nationalen Volkswirtschaften wurden gesprengt, die Einzelstaaten gerieten in zunehmende Abhängigkeit transnationaler Konzerne. Die gleichen Regierungen, die den weltweiten Kapitalverkehr durchsetzten, kämpfen nun gegeneinander darum, das Kapital an ihrem Standort zu halten. Die Kampfmittel sind überall die gleichen: Subventionen, verlorene Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen, Steuervorteile. In der Konsequenz sinkt der Anteil der Unternehmen am Staatseinkommen, der Anteil der abhängig Beschäftigten steigt. Und diese geraten zudem in einen unaufhaltsamen Strudel aus Entwertung und Rationalisierung. „Auslagern, vereinfachen, streichen und kündigen“, schreiben Martin/ Schumann, „die Hochleistungs- und High-Tech-Ökonomie frißt der Wohlstandsgesellschaft die Arbeit weg und entläßt ihre Konsumenten.“ Der schrankenlose Wettlauf um Anteile am Welt(arbeits)markt entwertet in immer schnelleren Zyklen die Arbeitskraft. „Egal was sie tun, die meisten Arbeitnehmer können bei diesem Spiel nur noch verlieren.“ Was droht, ist nicht mehr die Zweidrittel- sondern die 20-zu-80-Gesellschaft, was diese noch zusammenhält, brachte Zbigniew Brzezinski, ehedem Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, auf den bildhaften Begriff „Tittytainment“: panem et circenses im Jahre 2000 nach Christi.

Zur Globale der Kapitalmacht entwerfen Martin/Schumann die Totale der Leitbilder und Bildschirme: „Disney über alles“. Weltangleichung im Werbeblock. Die Kolonialisierung der globalen Kultur im Dienste der McDonald's und Murdochs ist eines der schwachen Kapitel, ein Parforceritt durch gängige Klischees des zeitgenössischen Kulturpessimismus. Düster auch die Farben, in denen gesellschaftliche und politische Folgen der Globalisierung ausgemalt werden: organisierte Kriminalität, krasser Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität, abgeschlossene Reichenghettos, Zulauf für Rechtspopulisten. Das „horrende Tempo der Veränderung wird zu einem Trauma für einen Großteil der Bevölkerung“ zitieren Martin/Schumann den US- Ökonomen Edward Luttwak, der dafür den Begriff des „Turbo-Kapitalismus“ prägte. Als mögliche Reaktion darauf drohen Handels- und Abwertungskriege, die zu wirtschaftlichen Verwerfungen und Wohlstandsverlusten führen würden.

Um den Rückfall in den wirtschaftlichen Nationalismus zu verhindern, setzen Martin/Schumann auf die Regelung des grenzenlosen Systems mittels eines erneuerten wohlfahrtsstaatlichen Systems. Den Autoren ist klar, daß es dabei kein Zurück zu den siebziger Jahren gibt, als noch die Nationalstaaten mittels Besteuerung für Verteilungsgerechtigkeit gesorgt haben.

Sie setzen auf die Verwirklichung der Europäischen Union, nicht nur als Ordnungsrahmen, sondern auch als Gegengewicht zur bisherigen US-amerikanischen Dominanz auf den Devisenmärkten. Denn Größe sei der einzig wichtige Machtfaktor in der globalisierten Ökonomie, damit ließe sich auch auf die Trockenlegung der Steueroasen drängen und privater Zinsgewinn wieder der Steuerpflicht unterstellen.

Die Abwärtsspirale der nationalen Wettbewerber um die Kapitalanlagen ließe sich sicher durch eine europäische Harmonisierung unterbrechen. Doch für wie lange? Wann würden die Effekte dieser Angleichung wieder durch die Konkurrenz mit den Wirtschaftsräumen Südostasiens und Amerikas durchbrochen? Und welche Chancen (und Gefahren) lägen in einer Verteuerung der globalen Verkehrsströme und einer dadurch induzierten Regionalisierung der Wirtschaftsräume? Auf diese Fragen hätten die Autoren sicher profunde Antworten gewußt, leider fehlen sie.

Offen ist auch noch die Frage, welches die gesellschaftlichen Kräfte sind, die sich der Abwärtsspirale entgegenstemmen, wo die Mehrheiten zu finden sind, das sozialstaatliche Projekt zu retten. Die Antwort darauf sollte man fairerweise nicht von Martin/Schumann erwarten, den diese Antwort suchen eine Reihe prominenter Politiker seit Jahren vergeblich.

Hans-Peter Martin, Harald Schumann, „Die Globalisierungsfalle – Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Rowohlt, Reinbek 1996, 351 Seiten, 38 DM

Ein Interview mit Harald Schumann erschien gestern in der taz