Zukunft nur mit Öl und IWF

Algeriens Präsident Zéroual sucht Legitimation für seinen Marktwirtschaftskurs. Mehr Öl- und Gasexporte sollen aus der Krise helfen  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Algeriens Kurs in die Marktwirtschaft soll ein demokratisches Mäntelchen erhalten. Rund vierhundert Vertreter von Regierung und Opposition, private und staatliche Arbeitgeber und Gewerkschafter eröffneten am vergangenen Wochenende im Badeort Club de Pins nahe der Hauptstadt Algier eine „Nationale Debatte über wirtschaftliche Entwicklung und Sozialpolitik“. Selbst die Oppositionspartei Front Sozialistischer Kräfte (FFS), die noch vor zwei Wochen die Debatte über eine neue algerische Verfassung boykottierte, ist mit von der Partie.

Debatte heißt für Zéroual, daß auch dieses Mal keine wirklichen Entscheidungen getroffen werden. „Die wirtschaftlichen und sozialen Partner können mit ihren Vorschlägen den aktuellen Wirtschaftskurs bereichern, die Parteien können Teile davon in ihr Programm übernehmen.“ Alternativkonzepte zum aktuellen Wirtschaftskurs sind bis zum Ende der Debatte am Donnerstag kaum zu erwarten – schon weil die wirtschaftlichen Grundentscheidungen zuvor gemeinsam mit dem IWF festgeklopft worden sind.

Algerien, dessen Exporte zu 95 Prozent aus dem Öl- und Gasgeschäft stammen, verschuldete sich seit dem Ölpreisverfall 1986 immer mehr. Die Einnahmen gingen drastisch zurück, doch teure staatliche Subventionen garantierten weiter einen Brotpreis von 10 Pfennigen. Die Regierung bot der Bevölkerung eine kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge. Benzin und Gas blieben spottbillig. Und Konsumgüter wurden im großen Stil aus Europa eingeführt.

Seit 1994 regiert der IWF in der Wirtschaftspolitik

1994 wurde die Situation kritisch. Der Schuldenberg hatte inzwischen über 30 Milliarden Dollar erreicht, 86 Prozent der Exporteinnahmen flossen direkt in die Schuldendienste. Umschuldungsverträge mit London und Paris retteten Algerien zwar im letzten Augenblick vor der Zahlungsunfähigkeit. Aber die Regierungen in London und Paris gaben ihr Geld nur unter der Bedingung, daß ein Strukturanpassungsprogramm mit dem IWF erarbeitet wurde.

Marktwirtschaft heißt seither die Zauberformel. Die Privatisierung von Banken, Industrie und Landwirtschaft und die Freigabe fast aller Preise sollten die Wirtschaft anregen und so die Wachstumsrate nach oben schnellen lassen. Die Inflationsrate sollte auf das Niveau der Industrieländer gesenkt, die Zahlungsbilanz ausgeglichen werden. Das, so wollen Regierung und IWF glauben machen, sei im Ansatz gelungen. Das Haushaltsdefizit des Zentralstaats sei von 8,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1993 auf 1,4 Prozent 1995 und die Inflation von 39 Prozent im Jahr 1994 auf 15 Prozent im Vorjahr gesunken. Und das Wirtschaftswachstum sei trotz der 50.000 Toten im jetzt 4jährigen Bürgerkrieg von 1,1 Prozent 1994 auf 4,4 Prozent im ersten Quartal 1996 gestiegen, verkündete die Regierung stolz. Jedes Prozent Wachstum ist für Zéroual ein Sieg über die Opposition, die Islamische Heilsfront (FIS).

Der IWF zeigt sich mit einem geschätzten Wachstum von 3,2 Prozent weit weniger euphorisch. Und nicht nur die FIS weist darauf hin, daß sich das Wachstum nur einer Rekordernte verdankt. Starke Regenfälle ließen die Erträge von zwei Millionen auf 4,6 Millionen Tonnen hochschnellen. Die Industrieproduktion geht derweil weiter bergab. Im ersten Quartal 1996 lag sie um 7,4 Prozent unter der des Vorjahres.

Die sozialen Folgen der Liberalisierung sind unübersehbar. Die Abschaffung der Subventionen und die Abwertung der Landeswährung Dinar um die Hälfte ließen die Preise für Nahrungsmittel und staatliche Dienstleistungen wie Strom, Wasser und Telefon auf das Dreifache steigen. Die Arbeitslosigkeit stieg rasant. Bereits heute ist jeder dritte Algerier ohne Arbeit. Bei den Jugendlichen sind es mehr als die Hälfte. Kinder verkaufen an den Autobahnen Brot und Zigaretten, um das Familieneinkommen aufzubessern.

Kinder verkaufen an der Autobahn Zigaretten

Weil alles andere nicht mehr hilft, sollen jetzt die Ölquellen reichlicher sprudeln. Bis zum Jahr 2000 will Algeriens Regierung die Förderquote um 30 Prozent erhöhen. Hinzu kommen soll ein 25prozentiger Anstieg des Erdgasexportes. Ab November wird eine 1.300 Kilometer lange Pipeline die Erdgasfelder in Hassi R'mel via Marokko mit Spanien verbinden. Kosten: 2,1 Milliarden Dollar. Die Exporterlöse Algeriens sollen bis zur Jahrtausendwende auf 15 Milliarden Dollar steigen, fast doppelt soviel wie 1994. Die meisten Wirtschaftsexperten sehen dies eher skeptisch. Ihr zentrales Argument: Der wirtschaftliche Erfolg hängt nicht an den Ölmilliarden. Andere Länder wie Südkorea hätten ohne diese Milliarden praktisch aus dem Nichts eine konkurrenzfähige Industrie aufgebaut. Algerien sei dies trotz der Milliarden schon einmal nicht gelungen.