Hinter den Kulissen der UN-Generalversammlung positionieren sich die Bewerberinnen und Bewerber für eine Nachfolge des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Butros Ghali. Eine Chance erhofft sich vor allem Afrika Aus Genf Andreas Zumach

Wer kommt nach Butros Ghali?

Der Streit um die Nachfolge von Butros Ghali steht im Mittelpunkt der UNO-Generalhauptversammlung in New York. Wegen der frühzeitigen Ankündigung Präsident Clintons, eine Widerwahl des Ägypters notfalls per Veto zu verhindern, positionieren sich schon jetzt potentielle Bewerber für den UNO-Chefsessel. Frühestens unmittelbar nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl am 5. November und spätestens bis zum Ende der UNO-Generalversammlung Mitte Dezember wird die Wahl erfolgen.

Hauptvorwurf der Clinton-Administration an Butros Ghali: unzureichende Verwaltungsreform der UNO. Dem haben mehrere ranghohe US-Bürger innerhalb des UNO-Systems zwar öffentlich und deutlich widersprochen – darunter der für die Administration und für Personalfragen zuständige Untergeneralsekretär Joseph E. Connor –, auf Clintons Haltung allerdings hat dies keinen Einfluß. Tatsächlich hat Butros Ghali mit den erheblichen finanziellen Einsparungen und personellen Kürzungen – den ersten in der UNO- Geschichte – langjährige Forderungen der USA erfüllt. Wirklich übelgenommen wurde ihm von den USA jedoch, daß er den Regierungen Bush und Clinton so manches Mal öffentlich widersprach und die Politik der USA kritisierte, zum Beispiel in der Somalia-Diskussion.

Das angebliche „Versagen“ des UNO-Generalsekretärs im Bosnienkonflikt – der zweite Kritikpunkt Washingtons – wird in dieser Form bislang nur von Malaysia geteilt.

Wegen der Verweigerungshaltung der USA werden hinter den Kulissen längst andere Namen gehandelt. Darunter auch – trotz der Solidaritätsbekundungen ihrer Organisationen für Butros Ghali – die Generalsekretäre der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), Salim A. Salim aus Tansania sowie der der Konferenz Islamischer Staaten angehörige Hamid Al-Ghabi (Niger). Letzterer erklärte kürzlich in Genf seine Bereitschaft zur Kandidatur, wenn sein „Bruder Butros Ghali“ am US-amerikanischen Veto scheitere.

Die OAU beruft sich auf die ungeschriebenen Regeln der UNO, wonach Afrika noch einmal an der Reihe sei, weil auch Butros Ghalis Vorgänger jeweils zwei Amtszeiten hatten. Diese Auffassung wird gestützt durch die USA: In einem Atemzug mit seiner Verweigerungshaltung gegenüber Butros Ghali hat die Clinton-Administration zugesagt, „jeden anderen Kandidaten Afrikas (zu) akzeptieren“.

Zwar gilt als unwahrscheinlich, daß sich die 56 afrikanischen Staaten auf einen Kandidaten einigen werden. Dennoch wird als Geheimtip der weiße Südafrikaner Richard Goldstone gehandelt, der zum 30. September sein Amt als Chefankläger des Internationalen Kriegsverbrechertribunals zu Exjugoslawien in Den Haag aufgibt und auf seinen früheren Posten als oberster Richter seines Heimatlandes zurückkehrt. Um die Unterstützung Afrikas zu erhalten, müßte Goldstone allerdings von Südafrikas Präsident Nelson Mandela nominiert und sozusagen „schwarzgesprochen“ werden.

Können sich die afrikanischen Staaten bis zuletzt nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, wachsen die Chancen für Ozeanien und Nordamerika – Regionen, die bislang noch nie zum Zuge kamen. In Australien hat der ehemalige Außenminister und Autor eines Buches über die UNO-Reform, Gareth Evans, Ambitionen auf den Posten, in Kanada Maurice Strong, der 1992 der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung vorsaß.

Bislang am häufigsten genannt bei den Wünschen und Spekulationen um die Ghali-Nachfolge wird die UNO-Hochkommissarin für Flüchtlinge, die Japanerin Sadako Ogata. Sie, so die Gerüchte, wird sich jedoch wahrscheinlich gegen eine Kandidatur entscheiden. Außerdem hat China mit einem Veto gegen Kandidaten aus Japan gedroht. Eine Nominierung von Europäern, etwa den Premierministerinnen Norwegens und Irlands, Gro Harlem Brundtland und Mary Robinson, wird voraussichtlich schon daran scheitern, daß von sechs Generalsekretären der UNO seit ihrer Gründung im Jahr 1945 bereits drei aus Europa stammten.

Aus Asien schließlich melden sich zwei Interessenten. Offiziell die Vizepräsidentin des philippinischen Senats, Leticia Ramos Shahani, eine Schwester von Präsident Fidel Ramos. Inoffiziell der Botschafter Sri Lankas bei der UNO in New York, Jaynatha Dhanapala.

Der öffentliche Kampf um die Nachfolge wird nach der US-Präsidentschaftswahl am 5. November beginnen.