Stets die Bodenhaftung behalten

■ Am Wochenende wird in Wandsbek um die Deutsche Sitzvolleyball-Meisterschaft geschmettert

„Das ist Wahnsinn“, staunt Roland Gensicke. Über 20 Akteure sitzen in der kleinen Sporthalle an der Uferstraße. Noch mehr als die 16, die am vorigen Dienstag zum Training die beiden Seiten des Netzes bevölkerten. „Dabei waren wir höchstens ein Dutzend, als ich hier angefangen habe“, erzählt Gensicke, der seit drei Jahren Vorsitzender des Hamburger Versehrtensports e.V. (HVSV) ist.

Der Andrang herrscht wegen der deutschen Meisterschaften im Sitz-Volleyball, die am Wochenende in der Wandsbeker Sporthalle stattfinden werden. Neun Landesverbände haben ihre Meister gemeldet. Für die Gastgeber startet der HVSV – kein Wunder, sind im 1 200 Mitglieder starken Verein mit mehreren Sparten doch alle Sitzvolleyballspieler dieser Stadt organisiert.

Mit dem Heimvorteil im Rücken soll nach dem dritten Platz im Vorjahr diesmal auch Leverkusen geschlagen werden. Das vom ortsansässigen Chemiekonzern geförderte Team nahm die letzten drei Meistertitel mit an den Rhein. Im Mai, beim internationalen Turnier in Wandsbek, konnten die Hamburger zuletzt immerhin gegen den Rivalen gewinnen und den Pokal behalten.

„Unser größter Gegner sind wir selbst“, blickt Jörg Gätje zurück, „oft machen wir gegen Leverkusen unser bestes Spiel und verlieren am Ende doch knapp.“ Gätje, mit anderthalb an Kinderlähmung erkrankt, ist seit 15 Jahren dabei. Ein volleyballbegeisterter Lehrer hatte an seiner Schule eine AG eröffnet: „Da habe ich gemerkt, daß ich trotz meiner Behinderung mit den anderen mithalten kann.“ Heute ist er einer von vier Hamburger Auswahlspielern des deutschen Verbandes, nach einem Intermezzo beim Stand-Volleyball für Behinderte. Vom Bundestrainer der Sitzenden wurde er zum Wechsel überredet.

Da waren die Sitzenden längst eingesessen. In den frühen 70ern, so genau weiß das niemand mehr – „vor meiner Zeit“, ist der allgemeine Tenor –, gelangte Sitz-Volleyball als spezielle Variante für körperlich Gehandicapte nach Hamburg. Der Norweger Kjell Brejvik, der nebenbei beruflich den Fischimport an die Elbe organisierte, baute die Sportart auf, die das bis dahin etablierte Sitzball verdrängen sollte.

Entscheidender Unterschied: Beim Sitz-Volleyball muß stets Bodenhaftung eingehalten werden, während beim Sitzball leichtes Aufrichten erlaubt ist. „Wer vom Sitzball kommt, macht hier oft Fehler“, weiß Gensicke. Ansonsten ist der Einstieg leicht. Das Netz ist auf einen Meter 15 tiefergelegt, das Feld auf sechs mal acht Meter verkleinert und bei der Angabe darf gebaggert werden – sonst sind die Regeln dieselben wie beim Stand-Volleyball.

Dasselbe Spiel ist es trotzdem nicht. „Die Anforderungen sind hier nicht unbedingt höher, aber anders“, erzählt Gätje. Von der Angabenlinie ans Netz zu robben, erfordert schon auf den ersten Blick eine besondere Bewegungskoordination, wenn nicht der ganze Körper zur Verfügung steht. Die Armarbeit wird entscheidend, Schultern und Bauchmuskulatur sind besonders gefordert, „weil man öfters auf den Rücken fällt und dann schnell wieder hoch muß“.

„Der Gemeinschaftssinn ist hier noch größer als woanders“, meint Gätje. In der Umkleidekabine stecken einige noch schnell eine Fluppe an, beim Training wird scherzhaft vorgeschlagen, Goalball im Dunkeln zu spielen. Man kennt sich, nicht nur im Team. Die Sitz-Volleyballer haben einen Turnierkalender mit bis zu zwölf Veranstaltungen im Jahr, europaweit zwischen Wilhelmshaven, Malmö und Riga.

In die Öffentlichkeit geraten Gätje & Co. trotz der ausgebauten Infrastruktur selten. „Eine große Meisterschaft ausrichten und keiner guckt zu“, fürchtet Gensicke. Der Großteil der Zuschauer seien Insider – Familienangehörige, Mitspieler anderer Mannschaften. „Das ist in Skandinavien oder den südlichen Ländern ganz anders“, ärgert sich Gensicke, „aber in Deutschland wird zwischen körperlicher und geistiger Behinderung nicht unterschieden.“

Gefeiert wird trotzdem, erst recht, wenn es am Sonntag zum Titel reichen sollte. Nicht zu lange, denn dafür ist die internationale Szene zu eng vernetzt. Am nächsten Wochenende reisen acht Spieler weiter nach Kristiansand – ein neues Turnier. Folke Havekost

Morgen und Sonntag, jeweils ab 10 Uhr, Sporthalle Wandsbek