Bloß dürres Geäst

■ „Wie es Euch gefällt“ in Bremerhaven: Statt Tabubruch siegt die sittliche Ordnung

Warum sollte man der Bösartigkeit der Welt nicht einfach einen Märchenwald entgegensetzen? Eine Theaterbühnenzauberwelt, in die Shakespeare eine Gruppe adliger Flüchtlinge vor den höfischen Intrigen Schutz suchen läßt? Warum nicht? „Weil man 1996 nicht mehr erzählen kann, daß im Wald alles besser ist“, antwortet der Oberspielleiter des Bremerhavener Stadttheaters, Holger Schultze. Folglich darf in seiner „Wie es Euch gefällt“-Inszenierung kein grüner Wald lauschen und Blattwerk rascheln. Statt dessen ein strenges, in melancholische Farben getauchtes Gehölz aus schmalen, hohen Orgelpfeifen, zwischen denen sich niemand verstecken kann und keine Leidenschaften blühen.

Holger Schultze stilisiert allerdings nicht nur die Räume (Bild: Odilia Baldszun), er nimmt auch die Szenen im Wald so weit zurück, daß alles Tragische und Groteske, alles Pathetische und Lyrische nur noch gedämpft, als bescheidenes Moderato erscheint. „Die ganze Welt ist eine Bühne“, läßt Shakespeare den Herrn Jacques (Kay Krause) sprechen, doch in Bremerhaven wirkt er so traurig und desillusioniert, als habe er den Glauben an die Bühne längst verloren.

Im Mittelpunkt der Paarungen stehen Rosalind (Alexa Steinbrecher) und Orlando (Wolfram Rupperti), die sich am Hofe auf den ersten Blick ineinander verlieben, angefeindet werden und getrennt voneinander in den Wald flüchten. Wie sie sich zwischen anderen Flüchtlingen suchen und endlich zueinander finden, ist ein faszinierendes Verwirrspiel, in dem alle Beteiligten an ihren Sinnen zweifeln und die Geschlechtergrenzen ins Tanzen geraten.

Denn im Wald angelangt, traut Orlando seinen Augen nicht: Ein knabenhafter Schäfer, Ganymed, zieht ihn an und reizt raffiniert seine Triebe, als sei es Rosalind. Es ist natürlich Rosalind, doch was dem verliebten Blindmann bei Shakespeare bis zum glücklichen Ende verborgen bleibt, setzt Holger Schultze so deutlich in Szene, daß fürs Publikum jede Irritation von vornherein ausgeschlossen ist. Der Schäfer ist nicht androgyn, sondern mit seinen weiblichen Rundungen nichts anderes als eine Frau. Ganymed bemüht sich nicht einmal, ein Mann zu sein - er/sie behauptet es bloß. Obwohl Alexa Steinbrenner in ihrer Knabenrolle als Ganymed/Rosalind regelrecht auftaut und sich zwischen ihr und Wolfram Rupperti als Orlando ein hübsches Spiel zwischen Mann und Frau entfaltet, wird kein Tabu gebrochen. In diesem steifen Wald von Bremerhaven siegt die sittliche Ordnung, ohne daß es je eine Unordung gab.

Da hat auch die Energiespritze der Bremer Shakespeare Company wenig geholfen: Die höchst lebendige Katja Hensel, die 36 Stunden vor der Premiere für eine erkrankte Darstellerin als Rosalinds Schwester Cecilia bereitwillig einsprang, hat den verdienten Extrabeifall des Publikums auch bekommen. Aber der Wald bleibt, wie Holger Schultze es will: In traumlosen Zeiten ein dürres Geäst. Hans Happel

Weitere Aufführungen 4. und 11.10., 20 Uhr, 6. 10., 15 Uhr, Schauspielhaus Bremerhaven