Wind der Empörung

■ Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten: Goethes Frühwerk "Triumph der Empfindsamkeit" in der Volksbühne

Prinz Oronaro hat ein Problem. Er möchte selig am Busen der Natur liegen – doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Schreitet er nachts durch den Garten, stört ihn das Mondlicht beim Seufzen. Und wollte er sich an einer Quelle laben, würde er womöglich naß. Weil das kein Leben ist, hat sich Oronaro eine künstliche Natur erschaffen. Eine zarte, taktvolle, die er auf Reisen in Kisten mit sich führt. Auch gegen die Liebe ist er gewappnet. Mandandane, eine echte Königin und die seines Herzens, kann er verehren und doch vermeiden, gibt er sich nur der eigens gefertigten Mandandane- Puppe hin.

In „Triumph der Empfindsamkeit“ machte sich Goethe im Jahre 1777 über die Geister lustig, die er kurz zuvor mit seinem „Werther“ gerufen hatte. Die Leidenschaft, die sich am eigenen Herzschlag berauscht, die Idealisierungswut, die statt des Echten das Abbild verehrt, führt er hier als dümmlich und asozial vor. Für den Prinzen endet es entsprechend schlecht.

Mandandane glaubt an Oronaros Liebe, erhofft sich aber handfeste Beweise und rezitiert derweil Monodramen, um zu sublimieren. Woraufhin ihr Mann, der König, zu recherchieren beginnt. Letztlich entdecken die Hofdamen die frevlerische Mandandane-Puppe, die Königin kommt zur Vernunft, der König zur Ruhe und Oronaro in Not. Schön, wie Stephan Richter in Stefan Bachmanns Inszenierung da blöde mit der Puppe auf der Bühne steht und der ganze Hofstaat, vom Wind der Empörung getrieben, an ihm vorbeiweht.

Aber Bachmann, der von sich sagt, im Theater vor allem unterhalten zu wollen, findet auch, daß es in diesem Fall noch einiges anzumerken gibt. Der 30jährige Regisseur, dessen Züricher Inszenierung von Goethes „Wahlverwandtschaften“ dieses Jahr zum Theatertreffen eingeladen war, der zum Hausregisseur der Salzburger Festspiele berufen wurde und dennoch weiter die Fahne des Off- Theaters schwenkt, findet, daß die Verdinglichung des Weiblichen auch nach fast 220 Jahren noch schwele. Im Prinzip hat er damit ja recht. Nur daß die Frauen diese Sache schon lange zu ihren eigenen gemacht haben. Fräulein Schiffer etwa, deren strahlendweiße Brüste im Programmheft aus einem noch strahlenderen Push-up-BH blinken, würde demjenigen schon was erzählen, der ihr plötzlich verbieten wollte, ein Papierkörbchen hochzuhalten, aus dem in tadelloser Haltung ein Fräulein-Schiffer- Barbiepüppchen grüßt.

Körper verschwinden hinter den Bildern

Wobei Bachmann auch gar nicht richtig weiß, was er denn letztlich vom Verschwinden des Körpers hinter dem Bild vom Körper halten soll. So sprechen die Hofdamen zwar einige einmontierte Textstellen von Christina von Braun, die diesbezüglich sehr bedenkenvoll sind, aber sie veralbern das auch gleich wieder, wenn sie greinend zusammensinken.

Und Oronaro tritt unter einem märchenhaften Nachthimmel (Bühne: Hugo Gretier) als Rockstar mit der Industrial-Softnummer „Seemann“ von Rammstein auf: „Wer hält deine Hand / wenn es dich / nach unten zieht.“ Das appelliert stampfend ans weibliche Gemüt, und doch kann man wissen, daß die Rammstein-Kombo auf der Bühne gern mal eine Gummipuppe schwenkt. Was imagepolitisch eine verständliche Entscheidung ist, und wenn einen das als Frau stört, geht man halt zu Cora Frost. Aber Bachmann wollte es wohl trotzdem halt mal so angemerkt haben. Versuchsweise springt er auf immer neue Züge auf, kratzt ein bißchen an den Abteilfenstern, langweilt sich und trollt sich wieder.

Auch sonst schwankt die Inszenierung beträchtlich. Angeführt von Jürg Kienberger als Schwester (!) des Königs ziehen Marthalerisch charmante Bilder vorbei, wenn die Hofdamen eingangs zwischen vier gestrandeten Konzertflügeln im Stroh herumwaten, als sei es der delikateste Blumenhain, wenn bald eine seufzt, bald eine andere vom Knaben und dem Röslein zirpt.

Im Laufe des Abends verknäulen und verknittern sich die Einfälle aber immer mehr. Was ohnehin Parodie ist, wird noch mal parodiert und zusätzlich gebrochen oder gar langwierig in die Wiederholungsschleife geschickt. Das ist weder unterhaltsam noch irgendwie intelligent, und so ist man noch am besten beraten, sich das eminente Stummfilmgesicht von Bruno Cathomas zu betrachten, der neben Cornelia Schmaus als Mandandone den König spielt.

Denn wie er seine Züge zwischen Scham und Eitelkeit, Wüstheit und Naivität, List, Frust und schierem Ernst herumturnen läßt, wie er sich mit immer neuer Inbrunst jeder noch so abseitigen Situation zur Verfügung stellt, erzählt auf tatsächlich lohnende Weise von übertriebener Empfindsamkeit. Wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Denn hier verschwindet das Ich nicht in sich selbst, sondern im allzeit bereiten Reflex auf die Außenwelt. Das, was daran lächerlich ist, wird bei Cathomas erschreckend selbstverständlich. Keiner, der einen anderen, sondern einer, der sich selbst als Puppe sieht. Petra Kohse

Nächste Vorstellung am 5. 10., 19.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz