Wohlfahrtscowboys auf staatlicher Weide

Vom Marlboro-Man-Mythos des Cowboys im US-amerikanischen Westen und warum sich Viehzüchter und Umweltschützer, die sich jahrelang als erbitterte Feinde bekämpften, plötzlich in erstaunlichen Allianzen wiederfinden  ■ Von Reed Stillwater

Ich dachte, ich hätte es begriffen: Die Ritter der Nation sind mit ihren heiligen Kühen und einem Freifahrschein zum Kahlfressen öffentlicher Ländereien der Ruin des Westens. Und nun soll man wieder umdenken: Die Cowboys und ihre verheerenden Herden sind nicht das Schlimmste, was dem Westen passieren kann, Bundesgenossen sollen sie sogar sein? So ist das mit Politik. Alles ist im Fluß, und neue Entwicklungen legen neue Bündnisse nahe. Aber die Allianz zwischen Umweltschutz und Viehtreibern wird schwer werden – tief sitzen Feindschaft und Vorwürfe.

Welfare (Sozialhilfe) ist ein Reizwort, und wer damit umgeht, sollte wissen, was er tut. US-Amerikaner denken dabei an Ernten ohne Aussaat, an Schnorrer und Trittbrettfahrer. Das paßt nicht zum Selbstverständnis eines Landes, in dem niemandem etwas geschenkt wird. Der idealtypische US-Amerikaner ist bis heute jener, der hinaus in den Westen zog, um allein und auf sich gestellt im Zweikampf mit der unwirtlichen Natur sein Glück und dabei das Land zum Füllhorn der Welt zu machen. Überleben tut diese mythologische Figur im Rancher, und auch die meisten US-Amerikaner kennen ihn nur aus der Marlboro-Werbung, die inzwischen die Rolle der Westernfilme bei der nationalen Legendenbildung übernommen hat. Ja, der ruhelose Ritter auf freiem Land unter unendlichem Himmel verkörpert noch immer Amerikas Traumbild von sich selber. Kann man sich einen größere Widerspruch als die Paarung der Begriffe „Welfare“ und „Rancher“ vorstellen? Und doch gibt es jetzt ein neues Reizwort in der US- amerikanischen Politik, und vor allem im Westen der USA tut man gut daran, es nicht mal fragend zu benutzen: „Welfare Ranching“.

Jim Horton nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ist pensionierter Offizier in Fort Huachuca, Arizona. Er gerät außer sich, wenn er daran denkt, was Rancher für Weiderechte auf öffentlichem Land bezahlen. „Es kostet mich mehr, die Vögel an meinem Küchenfenster zu füttern, als die Rancher für Weiderechte auf öffentlichem Land zu bezahlen: 1,80 Dollar pro Vieheinheit und Monat. Die verfahren, als sei das Land ihr Privatbesitz. Sie können die Weiderechte vererben und sogar verkaufen. Amerikas Rancher leben auf Kosten des Steuerzahlers!“ Jim Horton ist engagierter Republikaner.

Die Reform der Weideordnung im Westen der USA und die Erhöhung der Weidegebühren auf öffentlichem Land war eines der Ziele, die sich die Clinton-Regierung gesetzt, aber nicht erreicht hatte. Gescheitert ist Clinton dabei nicht erst am republikanischen Kongreß, sondern an seiner eigenen Partei, vor allem am Senator von Montana, Max Baucus.

Jim Horton holt das statistische Jahrbuch der USA hervor und schlägt mit der flachen Hand auf die aufgeschlagene Seite: Ganze drei Prozent des US-amerikanischen Rindfleischs kommen aus dem Westen. Die großen Fleischproduzenten der Nation sind die Mästereien in Iowa, Florida und Kalifornien. Auch der Anteil der Viehwirtschaft an der Gesamtwirtschaft der Staaten des Westens ist gering, er liegt unter zwei Prozent. „Die ganze Vorstellung von den Ranchern des Westens als Fleischlieferanten der Nation ist ein Mythos“, ruft Jim mit rot werdendem Kopf.

Aber wenn die Interessenvertreter der Rancher in klassischer Montur, in Stiefeln und breiten Hüten und von der millionenschweren Lobby der Vereinigung der Rinderzüchter unterstützt, in Washington auftreten, dann werden die Herzen vieler Abgeordneter weich. Gegen Cowboys haben Umweltschützer einen schweren Stand. Doch in den neuen „Range Wars“, in den Kämpfen um Amerikas Westen, verschieben sich die Fronten, neue Allianzen bilden sich.

„Ich kenne hauptsächlich zwei Arten von Besuchern,“ erklärt Bill Branan, Forschungsleiter auf der Appleton-Whittell Research Ranch der Audubon Society in der Nähe von Elgin, Arizona. Diese Forschungsranch ist abgelegen, aber auf detaillierten Karten ist sie eingetragen, und wer bereit ist, einige Stunden über staubige Waschbrettpisten zu fahren, findet auch hin. „Die einen kommen mit Kamera und wollen sofort den Zaun sehen, der das seit dreißig Jahren unbeweidete von beweidetem Land trennt, sie wollen den dramatischen Unterschied zwischen von Überweidung verwüstetem und unberührtem Land fotografieren. Die andere Art Besucher kommt auch mit Kamera, will auch den Zaun und auch den dramatischen Unterschied sehen zwischen dem Land, das verkommt, weil es seit dreißig Jahren nicht beweidet wird, und jenem, das sich aufgrund guten Weidemanagements regeneriert und gedeiht. Je nach Jahr und Jahreszeit kann ich die einen oder die anderen zufriedenstellen.“

Bill Branan ist Forscher und Diplomat. Als Forscher weiß er, daß die Dinge komplizierter sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Und wenn er nicht Diplomat wäre, könnte er da draußen in der unwegsamen Einsamkeit, wo man auf seine Nachbarn – alles Rancher – angewiesen ist, nicht überleben. Sind Kühe nun gut für das Land oder haben sie es ruiniert? Das eine behaupten die Rancher, das andere die Umweltschützer. Und die sollen nun in einer Allianz zueinanderfinden?

Der Hintergrund der ganzen Auseinandersetzung ist der Versuch, auch jene Landstriche produktiv zu machen, die auf alten Karten als „The Great American Desert“ eingetragen sind. Die Halbwüsten an den östlichen und westlichen Abhängen der Rocky Mountains sind wirtschaftlich eigentlich nicht tragfähig. Klassische Farmwirtschaft ist nicht möglich, dazu regnet es zu wenig. Und Weidewirtschaft kann nur dann eine ganze Familie ernähren, wenn Flächen zur Verfügung stehen, die bis zu 100mal größer sind als die klassische Farm.

So kam es, daß jenseits des Mississippi die Regierung der größte Landbesitzer ist. Wer wollte schon trockene Strauchsteppe erwerben, und wer konnte soviel davon erwerben, daß man darauf eine ausreichend große Herde unterhalten konnte. Die Rancher also weiden ihre Herden gegen eine geringe Pachtgebühr auf öffentlichem Land. Mit dem staatlichem Besitz gingen sie nicht sehr sorgsam um – der Westen ist überweidet. Ehemals wasserführende Flüsse sind vertrocknet, weil die zerstörte Vegetationsdecke die Wasserhaltefähigkeit des Bodens senkte. Eine Steppenlandschaft, die in feuchteren Jahren wogende Grasländer hervorbrachte, ist bis auf den nackten Boden kahlgefressen.

Der Konflikt bahnte sich an, als der Umweltschutz an Einfluß gewann, und der wiederum war das Ergebnis eines eher städtischen Interesses für den Westen. In dem Maße nämlich, wie Weide-, Holzwirtschaft und Bergbau aufgrund des Raubbaus an Bedeutung verloren, wurden andere Industriezweige und stadtmüde Städter angezogen. Denn der Westen hat trotz Hitze und Trockenheit seinen Reiz: wenig Bevölkerung, gute Luft, endlose Sicht und atemberaubende Sonnenuntergänge. Im Zeitalter der Telekommunikation können Einsamkeit und herbe Schönheit günstige Standortfaktoren sein. Nur verwüstet darf das Land nicht sein.

„Alles ganz falsch! Das Land ist nicht überweidet, sondern unterweidet – wenn auch falsch beweidet. Das Land muß beweidet werden, sonst geht es zum Teufel!“ Das lehrt Allan Savory, ein ehemaliger rhodesischer Wildtierrancher, der sich in Albuquerque, New Mexico, niedergelassen hat. Sein Institut für ganzheitliches Weidemanagement berät Rancher, die seine Botschaft gerne hören. Und inzwischen hört sogar die Regierung auf ihn. „Amerikas Grasländer waren einst von Abermillionen Büffeln, Antilopen, Hirschen, Rehen, Wildschafen und sonstigen Paarhufern durchzogen. Was sie dem Land antaten, kann man mit dem, was unsere Rancher tun, gar nicht vergleichen. Aber dann kamen die Herden für eine ganze Weile nicht wieder.“

Dieses Weidemuster will Savory nachahmen: Intensive kurzzeitige Beweidung mit Erholungsphasen, was allerdings personal- und kostenintensiv ist. Zäune müssen gebaut, die Herden ständig bewegt werden.

Rukyn Jelks ist Bill Branans Nachbar auf der andere Seite des Zauns. Die beiden verstehen sich gut, wenn sie auch unterschiedlicher Meinung sind. Rukyn schwört auf Savory, Bill hätte weniger Probleme mit ihm, wenn nicht jede seiner Beobachtung und Schlußfolgerungen darauf hinausliefen, daß letztlich Kühe gut fürs Land seien. Aber in einem sind sie sich einig. Im Westen gibt es zu viele Menschen und zu wenige Tiere. Deshalb müssen Ranches erhalten, nicht Besiedlung gefördert werden. Im September des Jahres 1996 allerdings fällt der Vergleich zwischen dem Land auf Rukyns und Bills Seite des Zauns dramatisch zu Ungunsten der Kühe aus. „Es hat dieses Jahr sehr viel weniger geregnet als sonst“, erklärt Rukyn. Er wird Land vom US Forest Service pachten müssen. Wenn die Weidegebühren stiegen, müßte er sein eigenes Land intensiver beweiden.

Jim Horton fing an, sich für die Umwelt zu interessieren, als man in der Nähe von Fort Huachuca die Ufer des San Pedro als Nationales Saumbiotop auswies. Das stieß auf den Widerstand der Rancher, die natürlich am liebsten die Flußläufe beweiden. Ihr Argument war, daß fruchtbares Land der Weidewirtschaft verlorenginge und damit der Gemeinde Steuereinnahmen entzogen würden.

Jims Kopf läuft schon wieder rot an. Er hat aus seinen Papieren die Steuererklärung eines Ranchers hervorgezogen. Auf dessen 200 Hektar Weideland wäre er eigentlich 1.261,04 Dollar Steuern schuldig gewesen. Doch Viehwirtschaft wird steuerlich begünstigt, so daß der Rancher durch Viehbesatz nur noch 57,74 Dollar zahlen muß. „Der zahlt weniger Grundstückssteuern als ich auf mein Häuschen!“

Jim Horton gehört zu den „Huachuca 100“, einer Gruppe radikaler Umweltschützer, die bei der Suche nach Bundesgenossen nicht wählerisch ist. Als die Rancher sich über den Lärm der Tiefflieger beklagten, die ihre Rinder in Panik versetzten, unterstützte er das Militär. Jetzt aber will er das Militär aus der Stadt haben: Fort Huachuca soll nach New Jersey verlegt werden, und Jim Horton tut alles, was er kann, um den Widerstand dagegen zu sabotieren.

Ganz recht, ein pensionierter Offizier und Republikaner, der genau weiß, daß jeder Arbeitsplatz im Fort deren zwei in der Stadt schafft, verhandelt mit den Abgeordneten von New Jersey und liefert die Argumente für die Verlegung des Standorts. „Der Westen ist überbesiedelt. Metropolen wie Phoenix und Tucson, die ganze Täler auffüllen, sind mit ihrem Wasserverbrauch in diesen Halbwüsten ein Unding. Wir müssen aufhören, alle Formen unökologischen Wirtschaftens zu subventionieren, wie das Beweiden, Bewässern und Besiedeln der Wüsten.“ Jim ist für freie Marktwirtschaft und Subventionsabbau, das diene dem Umweltschutz.

Eigentlich könnten Jim und Rancher wie Rukyn Bundesgenossen sein, meint Bill. Der ganze Streit um Weiderechte und -gebühren ist wie das Neuarrangieren der Liegestühle auf der Titanic. Die übergreifende Frage ist die des Wassers. Eine Wohnsiedlung, in der die Häuser typischerweise auf anderthalb Hektar stehen, verbraucht das Hundertfache dessen, was die Viehbewirtschaftung auf gleicher Fläche benötigt. Aber wo Ranching nicht mehr profitabel ist, erliegen die Rancher der Versuchung, Land an Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen oder Wasserrechte an die Stadt.

Von einer Hügelkuppe aus weist Bill nach Süden. Was sich als heller Streifen abhebt, ist ein Wildkorridor, der von Mexiko bis zu den Rincon Mountains in Arizona reicht. Hier ziehen Bären, Wildkatzen, Berglöwen, Antilopen und Rehe durch. Das Offenhalten der Landschaft hat nach der Schonung der Wasserressourcen oberste Priorität. Können Rancher dabei behilflich sein? Bill Branan hat seine Schwierigkeit mit Allan Savorys Theorien, aber er weiß, daß schonende Weidewirtschaft für das Land besser ist als dessen Parzellierung. Deshalb möchte er einen nachdenklichen Rancher wie Rukyn Jelks lieber zum Verbündeten als zum Feind haben.

Schonendes Ranching aber muß auch profitabel sein, und da ist die Politik gefragt. In Texas hat man die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, Ranchern auch dann steuerliche Erleichterungen zu gewähren, wenn sie ihre Ranches als Habitat für Wild managen. Den Verdienstausfall machen sie dann durch Ökotourismus wett.