Kahn und Zornesader hielten dicht

Nach dem glücklichen 2:1 im DFB-Pokal bei den Gladbacher Borussen beweist Bayern München mannschaftliche verbale Geschlossenheit auf höchstem Niveau  ■ Aus Mönchengladbach Bernd Müllender

Keine Frage, die Gefahr war groß. Schon sah man, hätte der ruhmreiche FC Bayern auch noch auf dem Bökelberg verloren, wie Beckenbauers Zornesader aufgeplatzt wäre und sich sein fußballblaues Blut bis zur kompletten kaiserlichen Inkontinenz über ihn ergossen hätte. Wie Oliver Kahn in akuten Wahnschüben seine breite Stirn so lange gegen seinen Kasten gerammt hätte bis zum zweiten Pfostenbruch am Bökelberg. Wie K.-H. Rummenigge per Vollspann Lothar Matthäus gemartert hätte und einen Jürgen Klinsmann, der wo an seinen Krokodilstränen erstickt wäre. Wie Coach Trapattoni in lebenslange multilinguale Schweigemeditation verfallen wäre. Wie Mehmet Scholl grün ärgernd grün gewählt und sich die Vorderzähne an der Eckfahne ausgebissen hätte, damit es endlich keine Nagetiere auf dem Fußballplatz mehr gibt. Den Rest des Teams hätte Uli Hoeneß in der elterlichen Wurstfabrik zu Ulm eigenhändig durch den Fleischwolf gedreht.

Aber es ist soeben noch mal gutgegangen. Das zeitweilige Alpdream Team hat wieder zur „Würde“ (Spieler Strunz) gefunden. Die „Schande“ (Halter Kahn) von Bremen ist getilgt. Erwacht sind sie aus dem Stadium der „geistigen Abwesenheit“ (Trainer Trap) und nicht noch einmal „wehrlos abgeschlachtet“ (Analytiker Babbel) worden. Die „offensichtlich untrainierbare Ansammlung verwöhnter Neurotiker“ (Sportinformationsdienst) hat es erfolgreich vermieden, noch einmal so „gedemütigt und zerbrochen“ (Bild) zu werden wie am Samstag an der Weser. Aber wie!

Nach Spielanteilen und Chancen hätte dieses Pokalmatch „mit Hochklassischkeit“ (DFB-Trainer Hennes Löhr) etwa 5:2 für die Borussia ausgehen müssen. Dutzendweise besten Gelegenheiten der Effenberg-Mannen stand nur ein einziger wirklich überzeugender Bayern-Kicker entgegen: Greifer Oliver Kahn. Ohne ihn wäre, so Gladbachs designierter Bertianer Stephan Paßlack, „die saudumme, absolut vermeidbare Niederlage“ nicht passiert. Immerhin, kämpferisch vermied das Bajuwarenballett ein weiteres „jämmerliches Auftreten“ (Kicker). Die Abwehr versuchte sich als agrarische Gemeinschaft (sensen, ackern, pflügen) und bügelte arbeitsintensiv all das aus, was das defensivschwache Mittelfeld (Scholl) zu tun ließ.

Zum 1:1-Ausgleich brauchten sie nach dem frühen Rückstand (Gewaltschuß von Neun in der Neunten; wann drehen sie ihm die Rückennummer „6“ endlich um?!), doppelte Hilfestellung: Erst spielte Gladbachs Schneider Strunz am eigenen Strafraum unbedrängt an, dann fälschte der wiederum überragende Andersson dessen Schuß unhaltbar ab.

Jürgen Klinsmann tat das Seine zum Erfolg. Sich seiner eklatanten Formkrise bewußt, vermied er erfolgreich fast jeden Kontakt zum Spiel, um die unausweichlichen Fehler zu vermeiden. Der Ex-Torschütze hatte in den ersten 45 Minuten zwölf Ballkontakte (fast alle im Mittelfeld), fünfmal davon landete die Kugel umgehend beim Gegner. Meist war er komplett unanspielbar, verlor Kopfballduelle in Regelmäßigkeit und verfehlte das Spielgerät bisweilen mitleiderregend. Kurz nach dem Wechsel hatte er sogar eine Torchance, umkurvte Torwart Kamps und traf Kastenmaiers Bein auf der Linie. Als nach gut einer Stunde Marcel Witeczek zum Einwechseln bereitstand, guckte Klinsmann erwartungsvoll Richtung Bayern-Bank, durfte aber bleiben. Schließlich spielte er sensationelle neunzig Minuten durch – der Pokal hat eben doch seine eigenen Gesetze. Ein überraschender Sieg, und schon scheinen die Bayern wieder ganz die alten. Der Realitätssinn etwa war clubtypisch sofort wieder abhanden gekommen. Siegtorschütze Alexander Zickler sah einen Sieg, der „absolut in Ordnung“ gehe. Kahn erkannte die Seinen nach einer „spielerisch geschlossenen Mannschaftsleistung einen Touch besser als Gladbach“ und Tüfteltrainer Trapattoni hatte sicher vieles richtig durchschaut, vermochte dies aber, weil weiterhin dolmetscherverweigernd, nur durch den Begriff „ricktick reazione“ auszudrücken.

Uli Hoeneß, sonst durchaus zu nüchterner Analyse fähig, war besonders dicht benebelt. Ob der FCB nicht noch mehr klare Torgelegenheiten des Gegners zugelassen habe als in Bremen? Das sei, so Hoeneß deftig erregt, eine „völlig falsche Sicht“, „fast schon ehrenrührig“ und „maßlos überzogen“. Man möge doch „die Kirche im Dorf lassen“, denn der FC Bayern sei „die klar bessere Mannschaft“ gewesen und habe „hochverdient gewonnen“, weil sie „deutlich mehr Chancen als der Gegner“ gehabt habe. Kann man auf einem Platz gleichzeitig mehrere Spiele sehen?

Alles ist wieder wie vor Bremen und vor Valencia. Die Bayern leben von ihrer Routine, finden das sprichwörtliche Glück der Vorzeit wieder und berauschen sich im Erfolgsfall an ihrer eigenen Existenz. Von unmotivierbarem Egoistenhaufen keine Spur mehr: Thomas Strunz erklärte wichtigmienig sein erkennbares Mitjubeln und freiwilliges Auf-den-Platz-Laufen nach eigener Auswechslung bei Zicklers Siegtor mit „Gemeinschaftsbewußtsein für die Mannschaft“. Er, Strunz, „scheue nicht die Verantwortung“. Wenn Matthäus schweigt, füllen andere die Sprechblasen sofort mit Leben. Hier beweisen die Bayern mannschaftliche Geschlossenheit auf höchstem Niveau.

Bayern München: Kahn - Kreuzer - Kuffour, Babbel - Hamann, Strunz (65. Witeczek), Nerlinger, Scholl (87. Münch), Ziege - Zickler, Klinsmann

Zuschauer: 34.500; Tore: 1:0 Neun (9.), 1:1 Strunz (28.), 1:2 Zickler (85.)

Borussia Mönchengladbach: Kamps - Paßlack, Kastenmaier, Andersson, Neun - Schneider (87. Villa), Effenberg, Nielsen (67. Sternkopf), Wynhoff - Pettersson, Juskowiak