Im Kassettengrab

■ Fernsehredakteure sagen im Prozeß gegen TV-Fälscher Born aus: Vieles sei gekauft worden, um es vom Markt zu nehmen

Wissen Sie, was „Fünf-Dollar- Schüsse“ sind? Die werden von bezahlten Komparsen in der Nähe von Kriegsschauplätzen abgefeuert, wenn die Auslandskorrespondenten wieder einmal Actionmaterial von den Frontlinien der Welt präsentieren müssen. „Macht in der Branche doch jeder“, sagt der in Koblenz wegen Betrug und anderer Delikte – wie etwa illegalem Waffenbesitz – vor Gericht stehende Filmemacher Michael Born (38).

Macht doch jeder? Etwa auch die Auslandskorrespondenten von ARD und ZDF in Tschetschenien oder auf dem Balkan, in Afghanistan oder in Liberia? Das mußte leider offen bleiben, denn Namen von „Kollegen“ nannte Born vor Gericht nicht. Und so steht bislang nur fest, daß er es selbst war, der die „Fünf-Dollar-Schüsse“ geordert hat: z. B. in Griechenland, an der Grenze zu Albanien, wo von Born bezahlte „aufgebrachte“ Dorfbewohner auf albanische Flüchtlinge ballerten. Darunter auch Borns aus Griechenland stammender und in Koblenz gleichfalls angeklagter Kumpel Georgios Charalampous (40). Zusammen legten sie wohl auch die Blutspuren am Stacheldrahtzaun, der die Grenze markiert. Keine echten, nur mit Ketchup.

Für diese „Totalfälschung“, wie es die Staatsanwaltschaft ausdrückt, zahlte Vox immerhin 10.000 Mark. Die Zweitverwertungsrechte dieser Räuberpistole spülten noch einmal 5.000 Schweizer Franken vom Züricher DRS in die Kasse des Kujau der laufenden Bilder: Die Geschichte wiederholt sich als Farce – ausgerechnet Stern TV kaufte die von Born produzierten Fakes gleich serienweise ein.

Heute könnte Michael Born kaum mehr ein Gewehr halten, hat er doch inzwischen die Hälfte seines Gewichts verloren. 50 Kilo wiegt er noch, und der Vollbart ist auch ab. Grund genug für die Verteidigung, bei der 12. Großen Strafkammer Haftverschonung für ihren Mandanten zu beantragen, die das Gericht aber am vergangenen Mittwoch ablehnte. Born sei von verschiedenen Ärzten gründlich untersucht worden: kein Befund. Und außerdem bestehe aufgrund der Auslandskontakte des Angeklagten und der zu erwartenden Höhe der Strafe „akute Fluchtgefahr“.

Zwar fügte sich Born widerspruchslos, aber nicht ohne auf dem Gerichtsflur vor Journalisten darauf hinzuweisen, daß er an einem „sehr seltenen afrikanischen Virus“ erkrankt sei. Der bewirke, daß er sich nach dem Essen immer erbrechen müsse. Ob das vielleicht nur an der Kost im Knast liegt oder an der „Haftpsychose“, die ihm Richter Weiland zuvor attestiert hatte, war dann nicht mehr zu klären, denn Stefan Aust (50) trat in den Zeugenstand. Am Tag vor dem Tag der Deutschen Einheit präsentierte sich der Spiegel-Chefredakteur und ehemalige Chef von SpiegelTV mit einem grünen „Zonenbeutel“, in dessen Seitentasche ein Handy steckte.

Aust war fein raus, denn SpiegelTV hatte keinen kompletten Film bei Born in Auftrag gegeben, sondern lediglich mit Material von ihm gearbeitet. z. B. in einem Bericht über den Verbleib der Urne mit der Asche des Neonazis Michael Kühnen. Born habe für sein Zutun „als Kameramann“ 1.000 Mark erhalten – dafür gab's brandheiße Bilder von einem „autonomen Umtopfungskommando“, das die Urne auf dem Friedhof von Kassel ausgegraben und dann versteckt haben soll. Aus Gründen der Ausgewogenheit präsentierte SpiegelTV in diesem Film allerdings auch den „Nachfolger“ von Kühnen und dessen frühere Verlobte, die gleichfalls die Urne ausgegraben und an einem sicheren Ort verwahrt haben wollten.

„Der ganze Film hatte eher satirischen Charakter“, sagte Aust am Mittwoch vor Gericht. Seit Born seiner Redaktion zwei Jahre zuvor (1990) einen Film über einen „Asylantenschlepper“ angeboten habe, in dem die Stimme des Schleppers schon auf dem Rohmaterial verfremdet gewesen sei, habe er Born mißtraut. Der Film wurde von SpiegelTV dann zwar nicht gesendet – Born aber trotzdem mit knapp 4.000 Mark entlohnt. Warum von den Sendern auch „unseriös“ (Aust) erscheinendes Material angekauft wurde, das dann nicht gesendet wurde, hatte zuvor der Zeuge Hilmar Rolff, Leiter des Bereichs Magazine bei RTL, durchblicken lassen: „Wir haben verschiedene Filme von Born erworben, um sie vom Markt zu nehmen.“ So sei mehrfach für Born-Produktionen Geld geflossen, obwohl die Streifen später in einem „Kassettengrab“ gelandet seien.

Der ehemalige Chef des Schweizer Fernsehmagazins „10 vor 10“ Ulrich Haldimann betonte, man stelle sich als Redakteur die Frage, ob ein Bericht plausibel und authentisch, nicht aber, ob er gefälscht sei. So gesehen komme Born ein gewisses Verdienst zu, die Aufmerksamkeit der Branche geweckt zu haben. Klaus-Peter Klingelschmitt