Noch werden Arafats Weisungen befolgt

Nach dem Scheitern des Nahostgipfels gärt die Unruhe in den besetzten Gebieten. Wozu sind so viele Palästinenser gestorben, fragen sich die Menschen. Niemand kann ihnen Antwort geben  ■ Aus Jerusalem Karim El-Gawhary

Wieder einmal leer ausgegangen sind die Palästinenser in der israelisch besetzten Westbank-Stadt Hebron. Auf dem Washingtoner Gipfeltreffen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, PLO-Chef Jassir Arafat, dem jordanischen König Hussein und US-Präsident Clinton haben sich die Kontrahenten immer noch nicht auf einen Zeitpunkt für den seit März überfälligen israelischen Teilrückzug aus der Stadt einigen können.

Damit die Palästinenser in Hebron ihrem aufgestauten Ärger nicht freien Lauf lassen, hat die israelische Armee erneut eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt. Es ist der siebte aufeinanderfolgende Tag, an dem die eisernen Verschläge der Läden und Geschäfte in der Stadt geschlossen bleiben. Israelische Soldaten patrouillieren in den Straßen, und die 400 israelischen Siedler in der Innenstadt von Hebron scheinen in guter Stimmung. Sie können sich ganz ungeniert darüber freuen, daß der Teilrückzug erneut hinausgezögert worden ist.

Kein Wunder also, daß Mustafa Natsche, der palästinensische Bürgermeister der Stadt, wenig Gutes über das Washingtoner Treffen zu berichten hat. „Der Friedensprozeß steht vor dem Zusammenbruch“, erklärt er wie bereits so viele Male zuvor. Der Pessimismus der Palästinenser, die nun seit März auf den Tag X des israelischen Teilrückzugs warten, ist unüberhörbar. „Einmal mehr hat Arafat in Washington bewiesen, daß er machtlos ist, irgendwelche Ergebnisse zu produzieren“, sagt Khaled Amayrah, ein örtlicher Journalist. Besonders skeptisch gibt er sich bei der Frage, ob Arafat bereit ist, den Rückzug aus Hebron, wie von Netanjahu verlangt, neu zu verhandeln. „Die neue israelische Regierung erkennt die Abmachungen des Osloer Abkommens nicht an. Sie möchte die Inhalte des Abkommens verändern, aber den Namen behalten, und Arafat muß darauf eingehen, weil er vollkommen von Netanjahus gutem Willen abhängt“, glaubt Amayrah.

„Wir haben absolut kein Vertrauen mehr in die Regierung Netanjahu, selbst wenn sie die Verhandlungen weiterführt“, beschreibt auch Dalal Salama, eine Vertreterin des palästinensischen Legislativrat in Nablus und Mitglied von Arafats Fatah-Organisation ihr Gefühl unmittelbar nach dem Washingtoner Treffen. Noch letzte Woche hatten die jungen Fatah-Kader die Demonstrationen gegen die Öffnung des Jerusalemer Tunnels mit organisiert. Mehr als 60 Palästinenser und 15 Israelis waren im Verlauf der Auseinandersetzungen getötet worden. „Wozu sind die Dutzende von jungen Palästinensern vergangene Woche gestorben?“ lautet die Frage, die allerdings keiner offen ausspricht. Positives will Salama immerhin noch darin erkennen, daß Arafat und Netanjahu in Washington einen Mechanismus in Gang gesetzt haben, sich zu treffen. Doch viel Hoffnung setzt sie nicht in dieses Treffen, das am Sonntag unter Vermittlung des US-Abgesandten Denis Ross in Erez, am Grenzkontrollpunkt zum Gazastreifen, stattfinden soll.

Haider Abdel Schafi, ehemaliger palästinensischer Verhandlungsführer auf der Madrider Friedenskonferenz und heute einer von Arafats schärfsten Kritiker, hat überhaupt keinerlei Zuversicht. Absolut nichts sei aus Washington herausgekommen, sagt er. Ohnehin hatte er Arafat abgeraten, nach Washington zu fahren in der Voraussicht, daß Israel keine seiner Positionen aufgeben werde.

Noch garantieren die palästinensische Polizei und Arafats Fatah-Organisation Ruhe in den Straßen. Noch werden Arafats Anordnungen befolgt. Noch ist spürbar, daß seine Position durch die Ereignisse der letzten Woche gestärkt wurde. Die Menschen blicken mit Erstaunen auf die Demonstration israelischer Stärke, die sich vor ihren Augen in einem einzigartigen Truppenaufmarsch mit Panzern und anderem schweren Militärgerät vollzieht. Die autonomen palästinensischen Städte sind regelrecht eingekesselt.

Der Ausblick ist bei allen düster. „Wir haben ein ganzes Minenfeld von Krisen vor uns, die früher oder später wieder unausweichlich zur Gewalt führen werden“, prophezeit Amayrah. Obwohl Schafi Gewalt derzeitig als gegenproduktiv ansieht, glaubt auch er an die große Wahrscheinlichkeit, daß die Jungen demnächst wieder mit Gewalt ihrem Frust freien Lauf lassen könnten. Vielleicht geben die Menschen Arafat und den Verhandlungen noch eine Chance. „Aber alles in allem“, sagt Salma, „sieht es gar nicht gut aus.“