Rechtsradikale als erste am Brandort?

Im Lübecker Brandprozeß korrigieren Augenzeugen ihre Aussagen: Wartburg mit Grevesmühlener Kennzeichen war möglicherweise früher in Tatortnähe als bislang angenommen  ■ Aus Lübeck Marco Carini

Es geht um Minuten. Wann genau traf der beige Wartburg, in dem sich drei junge Männer aus Grevesmühlen befanden, am 18. Januar vor dem brennenden Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße ein? Um 3.47 Uhr – das Haus brennt bereits seit rund 20 Minuten lichterloh – gerieten Maik W., Heiko P. und René B. rund 100 Meter vom Brandort entfernt in eine polizeiliche Routinekontrolle. Zwei Mitarbeiter des direkt an die Asylbewerberunterkunft angrenzenden Haferflockenherstellers Brüggen hatten zudem vor der Polizei ausgesagt, die drei Männer schon wenige Minuten zuvor – gegen 3.45 Uhr – beobachtet zu haben, wie sie aus sicherer Entfernung den Löscharbeiten der Feuerwehr zusahen.

Am Mittwoch korrigierten die beiden Zeugen ihre früheren Aussagen in diesem Punkt: Schon als sie um 3.30 Uhr, durch Hilfeschreie alarmiert, das Firmengelände verlassen hätten, um nach dem Rechten zu sehen, wären ihnen der Wartburg und die drei Männer aufgefallen. Da seien sie sich „hundertprozentig sicher“. Diese Aussagen des Müllers Rudolf O. und des Maschinenführers Thorsten R. werfen ein neues Licht auf das Geschehen am Brandort.

Die jungen Männer aus Grevesmühlen, gegen die die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wenige Tage nach der Mordbrennerei eingestellt hatte, haben bislang behauptet, erst in der Hafenstraße eingetroffen zu sein, „als bereits die Sprungkissen aufgeblasen wurden“, Polizei und Bundesgrenzschutz längst vor Ort waren. Glaubt man aber den korrigierten Zeugenberichten, so dürften die drei Männer mit den engen Kontakten zur rechtsradikalen Szene die ersten Außenstehenden gewesen sein, die in der Brandnacht am Tatort waren. Die Beobachtung der beiden Brüggen-Mitarbeiter widerspricht zudem den Aussagen der drei Grevesmühlener: Die hatten der Polizei angegeben, noch um 3.35 Uhr in der Lübecker Innenstadt unterwegs gewesen zu sein, um einen Freund zu suchen.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer machte am Mittwoch keinen Hehl daraus, daß er die Schilderungen der beiden Brüggen-Mitarbeiter nicht für glaubwürdig hält. Rudolf O. warf er vor, aufgrund der beiden voneinander abweichenden Aussagen „zumindest einmal die Unwahrheit gesagt“ zu haben. Zudem unterstellte der Lübecker Chefermittler dem 53jährigen Augenzeugen, für seine korrigierte, bereits in einem ARD-Beitrag gesendete Aussage von dem Fernsehsender „Geld erhalten“ zu haben.

Rudolf O. bestritt diese Behauptung entschieden. Daß sie heute viel detaillierter über ihre Beobachtungen Auskunft geben, die drei Wartburg-Insassen zudem genauer beschreiben könnten, begründeten beide Zeugen damit, daß die Vernehmungsbeamten beim Verhör nicht in die Tiefe gegangen seien. So seien die Ermittler an einer „detaillierten Personenbeschreibung“ der Wartburg- Fahrer „nicht interessiert gewesen“.